SPD und BSW bringen einen Antrag über die Einrichtung einer Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Krise in den Brandenburger Landtag ein. Koalition stellt klar: Meinungsfreiheit und andere Grundrechte bleiben „Abwägungssache“. Schwerpunkt Datenerfassung: „Kontaktpersonenmanagement“ soll „proaktiver“ werden. Das sind die Details.
Bereits am Dienstag, 14.01.25, veröffentlichte der Brandenburger Landtag einen gemeinsamen Antrag von SPD und BSW über eine Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Krise [1]. Darin erkennen die Koalitionäre an, dass einige der verordneten Maßnahmen im Hinblick auf soziale, psychologische und wirtschaftliche Konsequenzen nicht folgenlos blieben. Im Zentrum der Kritik stehen bei den Antragstellern Schwierigkeiten in der Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Beruf bei Familien, existenzielle Herausforderungen für Unternehmen und Selbständige sowie das Schicksal von Menschen, die unter Isolation und psychischen Belastungen litten. Auch Einschränkungen der individuellen Freiheitsrechte seien heute „in einem anderen Licht zu sehen“.
Die Auswirkungen, die die Maßnahmen auf Kinder hatten, erhalten in dem Antrag kein besonderes Gewicht. Der Begriff „Kinder“ ist in dem Text überhaupt nur 2 Mal enthalten. Von Schulschließungen betroffene Kinder und Jugendliche sollen „Gehör finden“.
Größere Bedeutung misst der Antragstext dem „solidarischen Handeln“ und einem „starken, handlungsfähigen Staat“ zu. Für die Antragsteller zeigt die Corona-Krise „…, dass wichtige Errungenschaften einer Demokratie wie Meinungsfreiheit und der sachliche Austausch verschiedener Auffassungen sowie individuelle Freiheitsrechte immer eine Abwägungssache darstellen.“
Die Kommission soll sich aus 9 parlamentarischen Mitgliedern (SPD und AfD je 3, BSW 2 und CDU 1) sowie 4 Sachverständigen (jede Fraktion 1) zusammensetzen. Zusätzlich können Städte- und Gemeindebund sowie der Landkreistag Brandenburg je ein ständiges mitberatendes Mitglied ohne Stimmrecht in die Enquete-Kommission entsenden.
Die Kommission soll insbesondere herausarbeiten, wie das Brandenburger Gesundheitssystem sowie unsere gesellschaftlichen Strukturen in Pandemiezeiten krisenfester gestaltet werden können. Zugleich soll sie Empfehlungen erarbeiten, wie auch in Zeiten einer hohen Priorität des Gesundheitsschutzes staatliche Eingriffe in Freiheitsrechte unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit so gering wie möglich bleiben können. Im Fokus stehen dabei die Resilienz von Bildungseinrichtungen, die Unterstützung vulnerabler Gruppen und die Analyse wirtschaftlicher und sozialer Folgewirkungen.
Außerdem soll eine „Prüfung zur Ausarbeitung eines Corona-Amnestiegesetzes stattfinden und Lehren aus der gesellschaftlichen Debatte jener Zeit gezogen werden.“ Was unter einer „Prüfung zur Ausarbeitung eines Corona-Amnestiegesetzes“ zu verstehen ist, bleibt unklar. Die Formulierung erweckt allerdings nicht den Eindruck als hätten sich die Koalitionäre die Ausarbeitung eines Amnestiegesetztes vorgenommen.
Ziel sei es, praxisorientierte Handlungsempfehlungen zu entwickeln, die Brandenburg auf künftige Krisen besser vorbereiten, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und die gesellschaftliche Spaltung in der Gesellschaft, die in jener Zeit entstanden ist, weitgehend zu heilen.
Die Aufgaben der Kommission im Detail:
Resilienz des Gesundheitssystems: Untersuchung der Kapazitäten und Strukturen des Gesundheitswesens, einschließlich der Versorgung mit Schutzmaterialien, Intensivbetten und Personal, um Schwachstellen zu identifizieren und zu beheben: Dazu gehören auch eine Analyse des Landespandemieplans und Vorschläge zu seiner Überarbeitung, Beratungen über eine Landespandemiereserve für Schutzmaterialien und Medikamente sowie über die Sinnhaftigkeit der Schaffung eines Einsatzplanes für Krankenhäuser im Land Brandenburg.
Analyse staatlicher Eingriffe: Klärung juristischer Fragen, die während der Pandemie auftraten, einschließlich der Abwägung von staatlichen Eingriffen in Freiheitsrechte unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem berechtigten Interesse zum Schutz der öffentlichen Sicherheit; dazu gehören auch Fragen eines Corona-Amnestie-Gesetzes. Es soll zudem untersucht werden, wie viele Verordnungen Gegenstand einer Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Rahmen von Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO waren, in wie vielen Fällen davon das Gericht welche konkreten Regelungen mit welcher Begründung für unwirksam erklärt hat und welche Schlussfolgerungen sich hieraus für die Zukunft ziehen lassen.
Bewertung der Verhältnismäßigkeit und Effektivität von Maßnahmen wie: Kontakt- und Zutrittsbeschränkungen, verschiedene sogenannte „G-Regeln“, Geschäfts-, Gastronomie- und Schulschließungen sowie Ausgangsbeschränkungen, Impfkampagne und die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht, um bei eventuellen kommenden Pandemien Eingriffe in die Freiheitsrechte so gering wie möglich zu halten. Es sollen Empfehlungen für eine bestmögliche Datenerfassung und einen bestmöglichen Datenaustausch zwischen allen relevanten Akteurinnen und Akteuren im Krisenfall entwickelt werden, um das Kontaktpersonenmanagement im Pandemiefall noch proaktiver zu gestalten.
Bewertung der Maßnahmen zur wirtschaftlichen Unterstützung: Bewertung der getroffenen Maßnahmen zur finanziellen Vorsorge und wirtschaftlichen Unterstützung von Betrieben einerseits und Bürgerinnen und Bürgern anderseits. Unter Hinzuziehung von Fachexpertinnen und Fachexperten aus der Ökonomie und Sozialökonomie sollen Empfehlungen für zukünftige Krisenfälle entwickelt werden. Aus dem Familienbericht des Landes Brandenburg sollen im Rahmen der Untersuchung Empfehlungen für pandemiespezifische Arbeitsmodelle entwickelt werden, welche die individuellen und sozialen Besonderheiten aller Familienmodelle auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wie etwa die finanzielle Ausgangslage im Fall von Alleinerziehenden besonders berücksichtigen.
Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und Überwindung gesellschaftlicher Spaltung: Analyse der sozialen Auswirkungen der Coronamaßnahmen auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen, auf den gesellschaftlichen Diskurs und die Meinungsfreiheit. Entwicklung von Strategien zur Förderung des Zusammenhalts, die auch in Krisensituationen unterschiedliche Auffassungen respektieren. Dies umfasst auch eine Betrachtung der Rolle privater sowie öffentlich-rechtlicher Medien. Die Enquete-Kommission soll zudem Vorschläge erarbeiten, wie zukünftig die demokratische Beteiligung des Landtages Brandenburg beim Erlass und bei der Änderung von Infektionsschutzverordnungen verbessert bzw. gestärkt werden kann.
Zur Arbeitsweise: Die Kommission soll die bundespolitische Aufarbeitung sowie die gesellschaftlichen Debatten zu den Folgen der Coronapandemie und den verhängten Maßnahmen „flankieren“. Dazu sollen Sachverständige die Arbeit des Ausschusses unterstützen und Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Fachrichtungen gehört werden.
Auch von den Auswirkungen der Coronapandemie und der verhängten Maßnahmen betroffene Bürgerinnen und Bürger sollen mit ihren Anliegen gehört werden. Dabei sollen Menschen unterschiedlichen Alters und sozialer Stellung zu Wort kommen, damit das gesamte gesellschaftliche Meinungsspektrum zu diesen Themenfeldern abgebildet werden kann. Betroffene von langfristigen, gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Anschluss an eine SARS-CoV-2-Infektion sowie von Nebenwirkungen der Coronaimpfstoffe (Post-Vac-Syndrom) sollen dabei eine angemessene Beachtung erfahren. Auch von durch Schulschließungen betroffene Kinder und Jugendliche, ihre Eltern sowie pädagogische und psychologische Fachkräfte sollen Gehör finden. Die Sitzungen sind grundsätzlich öffentlich.
Welche bundespolitische Aufarbeitung gemeint ist, geht aus dem Antrag nicht hervor. Ebenso unklar bleibt auch wer nach welchen Kriterien anzuhörende Experten und Bürger
auswählt, wie viele dabei zu Wort kommen und ob sich infrage kommende Personen auch selbst bei der Kommission melden können.
Neben den Enquete-Kommissionen und Untersuchungsausschüssen anderer Länder ggf. auch des Bundes sollen auch wissenschaftliche Studien einbezogen werden und bei Bedarf
zusätzliche Expertisen in Auftrag gegeben werden. Ergebnisse und Gutachten werden auf einer eigens hierfür eingerichteten Internetseite veröffentlicht.
Text & Titelbild: Jan Müggenburg