In ihrem aktuellen Bühnenprogramm verarbeiten Christine Prayon und Felicia Binger ihre Erfahrungen mit den mRNA-Injektionen. Der satirische Rückblick wird dabei zur persönlichen Abrechnung mit der Corona-Politik, bei der sich auch das Publikum einbringen kann.
Sonntag, 17.11.2024. Der große Saal im Berliner Rudolf-Steiner-Haus ist an diesem Abend gut gefüllt. Der Kulturkreis-Pankow lud zur satirischen Lesung mit Christine Prayon und Felicia Binger. Beide Schauspielerinnen sind wegen ihres offenen Umgangs mit den Folgen ihrer mRNA-Injektionen angeeckt und vom Medienbetrieb aussortiert. Doch das ist nicht nur als Strafmaßnahme für den Tabubruch anzusehen. Binger weist darauf hin, dass chronisch kranke und gesundheitlich anfällige Schauspieler ganz schlicht als unzuverlässige Partner gelten. Denn niemand weiß – nicht einmal die Betroffenen -, wann der nächste Schwächeanfall droht oder der Notarzt gerufen werden muss.
Ob Prayons gesundheitliche Probleme nun tatsächlich als PostVac oder doch eher als Long Covid einzustufen sind, bleibt offen. Der Grund: sie weiß es nicht und wird es wahrscheinlich auch nie herausfinden. Ihr Leidensweg begann wenige Tage nach der „Impfung“. Symptome, Untersuchungen, ratlose Ärzte, schlechte Tage, sehr schlechte Tage und immer wieder auch Lichtblicke pflasterten diesen Weg.
In Ihrem Buch „Abwesenheitsnotiz Long Covid, short stories“ verpackt Prayon ihr Schicksal in einen fiktiven Dialog mit ihrer Lektorin. Auf der Bühne tragen beide Schauspielerinnen diesen Dialog vor. Prayon schlüpft in die Rolle der Lektorin Gabriele Konopke und Felicia Binger übernimmt den Part von Christine Prayon. Wer an dieser Stelle ein melancholisches Schauspiel voller Selbstmitleid erwartet, liegt falsch. Prayon schafft es, ihr von gesundheitlichen Einschränkungen und beruflicher Ausgrenzung geprägtes Schicksal satirisch zu verpacken. Trotz der Schilderung von Krankheitsbildern, Einblicken in das bürokratische Dickicht des Gesundheitssystems sowie dem Eingeständnis von Irrtümern und Fehlern bleibt der Abend vor allem Eines: unterhaltsam und komisch. Respekt! Das muss man in solch einer Lebenslage erst einmal hinbekommen.
Einen Höhepunkt der Aufführung bildet zweifellos der Dialog mit dem Bundesgesundheitsminister. Felicia Binger, die sich als Aktivistin bislang vergeblich um ein Gespräch mit dem Minister bemüht hat, kann darin Karl Lauterbach endlich jene Fragen stellen, die ihr schon lange unter den Nägeln brennen. Christine Prayon parodiert Karl Lauterbach und brilliert in dieser Rolle.
Dabei kommt alles auf den Tisch: die fehlende Unterstützung für LongCovid- und PostVac-Betroffene, Kita- und Schulschließungen, RKI-Files, die fehlende Aufarbeitung, die gesellschaftliche Spaltung, der Vertrauensverlust in staatliche Institutionen u.v.a.m. Prayon trifft in der Rolle des Ministers nicht nur seine Sprechweise (einschl. Kölner Dialekt!) sondern auch auch seine Art, wichtigen Fragen gekonnt und mit viel Text auszuweichen. Binger und Prayon harmonieren als Duo perfekt.
Im letzten Teil kommt dann auch noch das Publikum zu Wort ein Test, der den Saal zum Testzentrum macht. Fragen, Erfahrungsberichte und Meinungen alles ist erlaubt. Die Schauspielerinnen wollen interagieren und der kontinuierlichen Diskursverengung einen eigenen, offenen Debattenraum entgegensetzen. Der Plan geht auf, doch eine spontane Umfrage im Publikum offenbart auch eine Schwäche des Konzepts. Über satirisch verpackte Folgen der Corona-Krise will an diesem Abend vor allem eine Gruppe lachen: Ungeimpfte.
Text & Foto: Jan Müggenburg