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Interview mit Dr. Sylvia Scholz

Sylvia Scholz gehörte lange zu den aktiven Gestaltern linker Politik in der Region Berlin-Brandenburg. Nach 24 Jahren Mitgliedschaft hat sie die Partei Die Linke im März 2022 verlassen. Im Interview mit der Brandenburger Freiheit berichtet sie über ihre Gründe, über ihre Schwierigkeiten mit den jungen Führungskräften bei den Linken und über Defizite bei der Partei-internen Aufarbeitung des schlechten Ergebnisses bei der Bundestagswahl.

Frau Dr. Scholz, Sie sind nach 24 Jahren aus der Partei Die Linke ausgetreten. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Mir ist in der Partei der Grundkonsens verloren gegangen. Besonders die Streitkultur hat sehr gelitten. An die Stelle kontrovers geführter, von Sachargumenten geleiteter Debatten, sind persönliche Angriffe und Schubladendenken getreten.

Wie erklären Sie sich diesen Wandel in der inneren Parteikultur?
In der Partei haben in den letzten Jahren vor allem jüngere Mitglieder das Zepter übernommen. Das ist sicherlich normal.
Wo es früher das persönliche Gespräch gab, werden heute Informationen und Statements per digitale Medien ausgetauscht. In meinem Ortsverband in Hohen Neuendorf kam das Parteileben praktisch fast zum Erliegen.
Den jungen Leuten fehlt oft das Gespür für die wahren Probleme. Das Engagement für die polnische Queer-Bewegung war tatsächlich größer als jenes für die Sorgen der Menschen hier vor Ort.
Kann natürlich auch sein, dass es einfach nur ein sich wiederholendes Generationsproblem ist, wie Ende der 60er Jahre, wo die Jugend meinte, den besseren Weg und die richtigen Antworten gefunden zu haben. Ich kann es nicht genau verifizieren, aber für mich sehe ich keine Basis mehr.

Linke Positionen gründen in der Regel auf einem theoretischen Fundament – Marx, Engels, Lenin. Wie beurteilen Sie die Kenntnisse junger Linker auf diesem Gebiet?
Theoretische Kenntnisse sind sicherlich vorhanden, aber an der Umsetzung in praktisches Handeln mangelt es. Ebenso wenig sehe ich fundierte Kenntnisse über unser Parteiprogramm und auch das Wahlprogramm. Hinzu kommen noch Defizite im Wissen über geschichtliche Ereignisse und Zusammenhänge, wie ich bei einer parteiinternen Diskussionsveranstaltung zum Ukraine-Konflikt erkennen musste. Ich weiß nicht, warum man so erpicht auf eine vom Konsens geprägte Debatte war, vielleicht liegt es an der mangelnden Diskursfähigkeit bzw. fehlenden Argumenten.

Die Bundestagswahl 2021 endete für Die Linke mit einem echten Debakel. Die Partei ist heute nur aufgrund 3 errungener Direktmandate im Parlament vertreten. Wie beurteilen Sie den Aufarbeitungsprozess in der Partei?
Es gab eine ganze Reihe von Veranstaltungen, die die Gründe für das schlechte Wahlergebnis analysieren sollten. Bei der Diskussion „Wie weiter“ wurden alle alten Forderungen erneut bekräftigt, wie z.B. mehr Geld für die Pflegekräfte, Bildung und die Wohnungsfrage. Alle diese Prämissen sind richtig und wichtig, aber reicht das? Der wahre Grund, warum die Wähler der Partei den Rücken gekehrt haben, wurde letztendlich nicht genau herausgefunden.
Auf die Zustände hier im Land wurde nicht eingegangen. Niemand beklagte die Einschränkung der Grundrechte und die daraus entstehenden Probleme, wie z.B. bei den Kindern, die immer noch mit der Maske im Unterricht verharren müssen, geschweige denn die daraus erwachsenen psychischen Probleme. Ebenso wenig wurde auf die Zerschlagung der Kulturlandschaft und der regionalen Wirtschaft eingegangen.
Insgesamt empfand ich den Aufarbeitungsprozess als zäh und ineffektiv und habe ihn auch nicht weiter begleitet.

Ihrem Austritt ging bereits der Austritt von Christa Luft und Oskar Lafontaine voraus. Erwarten Sie weitere Austritte? Droht der Partei gar eine Marginalisierung?
Das kann ich nicht sagen. Der Austritt von Christa Luft hat mich sehr getroffen. Sie war Rektorin an der Hochschule für Ökonomie während meiner Promotionszeit. Ihre Begründung hat mich tief bewegt und nachdenklich gemacht. Durch die vielen Diskussionsrunden in der ehemaligen Geschäftsstelle in Treptow lernte ich sie sehr gut kennen. Ich habe eine große Hochachtung ihr gegenüber und viele ihrer Bücher gelesen.
Auch der derzeitige Angriff der „Jungen Garde“ auf den Ältestenrat der Partei, speziell auf Modrow, hat mich maßlos erschüttert. Ob das weitere Austritte nach sich zieht, werden wir sehen.
Dass eine Entwicklung zur Marginalisierung der Partei daraus resultiert, kann ich natürlich auch nicht vorhersagen. Vielleicht sollten sich führende Genossen mal das Buch von Sahra Wagenknecht „Die Selbstgerechten“ durchlesen und dann in Klausur gehen. Wenn es aber nur ein „Weiter so“ gibt, kann man das nicht ausschließen.
Aber auch in anderen Parteien, wie z.B. den Grünen haben sich die Schwerpunkte massiv verschoben, genau wie in der SPD. Die junge Generation setzt nun mal andere Schwerpunkte. Es existiert kaum noch eine richtige Opposition. Für mich ist das der Anfang erster Auflösungstendenzen des bisherigen Parteiensystems.

Wie sehen Sie Ihre politische Zukunft?
Ich werde meine kommunalpolitische Arbeit in der Stadtverordnetenversammlung in Hohen Neuendorf weiterführen, entweder, wenn man mich lässt, in der Fraktion, oder bei Ausschluss als Einzelverordneter weiter machen.
Hier in Brandenburg gibt es ja ein anderes Wahlsystem als in Berlin. Man erhält sein Mandat nicht über die Liste einer Partei, sondern wird einzeln direkt vom Wähler gewählt.

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