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Interview mit Norbert Fischer, Kreishandwerksmeister Oberhavel

Im Interview mit der Brandenburger Freiheit äußert sich Norbert Fischer, Kreishandwerksmeister aus Oberhavel, zu den aktuellen Problemen, die Tischler, KfZ-Mechaniker, Bäcker, Friseure und andere Gewerbetreibende existenziell bedrohen. Offen bringt er seine Enttäuschung über die Bundes- und Landesregierung zum Ausdruck. Selbst seine Erwartungen an die eigenen Verbände sind nur noch „gedämpft“.

BF: Herr Fischer, unter den Handwerkern und Gewerbetreibenden brodelt es aktuell gewaltig. Wo genau liegen die Probleme der Handwerker, die Sie vertreten?

Norbert Fischer: Wir haben nach wie vor einen großen Mangel an Nachwuchs. Junge Leute entwickeln leider wenig Interesse für handwerkliche Berufe und entscheiden sich eher für andere Bereiche, die ihnen attraktiver erscheinen.
Akut sind unsere Unternehmen durch die steigenden Energiekosten bedroht. Bei den Bauhandwerkern sind die Auftragsbücher z.Zt. noch gut gefüllt. Generell befürchten wir aber zurückgehende Aufträge. Am härtesten trifft es aktuell Gewerbetreibende mit eigenen Werkstätten, z.B. Tischler und Kfz-Mechaniker. Auch für Bäcker und Friseure ist es aktuell sehr schwer.

BF: Die Schwierigkeiten, die die Bäcker mit den aktuellen Energiekosten haben, sind leicht nachvollziehbar und z.T. auch öffentlich bekannt. Mit welchen Problemen kämpfen gegenwärtig die Friseure, die Sie vertreten?

Norbert Fischer: Die Friseure wurden in der Pandemie stark getroffen. Zwar erhielten sie zunächst staatliche Hilfen. In vielen Fällen führten geänderte gesetzliche Voraussetzungen dazu, dass diese Mittel komplett zurückgezahlt werden mussten. Die Ersparnisse sind bei vielen Friseuren aufgebraucht. Die aktuellen Belastungen für das Friseurhandwerk haben die Grenze des Zumutbaren überschritten. Deshalb wurde ein Hilferuf an unsere Vertreter/innen im Deutschen Bundestag gerichtet.
Die Belastungen der Corona-Pandemie mit stark eingeschränkten Service-Möglichkeiten in den Salons, gestiegenen Lohnkosten und eine schwierige Ausbildungssituation setzen den Betrieben ebenso weiter zu wie die Inflation mit ausufernden Energiepreisen. In der Summe ist dies eine existenziell kritische Situation für das Friseurhandwerk.
Den Ankündigungen der Politikerinnen und Politiker müssen nun schnell und unmittelbar Taten folgen. Gerade im Dienstleistungshandwerk Friseur lassen sich die gestiegenen Mehrkosten nicht vollständig auf die Servicepreise umlegen. Aufgrund der Inflation vergrößern schon jetzt viele Kundinnen und Kunden die Besuchsabstände, wechseln zu den Umsatzsteuer-befreiten Kleinstunternehmern oder wandern in den Schwarzmarkt ab.
Das Friseurhandwerk fordert schnelle staatliche Unterstützungen für die Betriebe und eine eindeutige Sicherheit bei der Energieversorgung sowie die Berücksichtigung bei den Unterstützungsprogrammen. Nur so kann ein Sterben vieler Handwerksbetriebe und der Verlust von Arbeits- und Ausbildungsplätzen verhindert werden.
So fordern die Friseure, die Mehrwertsteuer auf 7 % auf Friseurdienstleistungen zeitlich befristet zu senken, um die konsumnahe Friseurbranche zu entlasten. Die Petition „Friseure brauchen Zukunft – 7% Jetzt!“ erreichte diesbezüglich über 70000 Unterschriften.
Unsere Bäcker müssten eigentlich jetzt damit beginnen, Stollen für die Weihnachtszeit zu backen, da sie für die optimale Qualität eine Weile gelagert werden müssen. Angesichts derartig stark gestiegener Preise für Energie und die Zutaten sind viele Bäcker verunsichert. Sie fragen sich, ob ihre Kunden die zwangsläufig höheren Preise akzeptieren werden oder ob sie letzten Endes auf der Ware sitzen bleiben.

BF: Führende Vertreter der Handwerker auf Landesebene fanden z. T. schon recht deutliche Worte zur aktuellen Entwicklung der Preise für Energie, Mobilität und Lebenshaltung. Welche Erwartungen haben Sie an die Spitzen von Bundes- und Landesregierung?

Norbert Fischer: Keine! Exemplarisch verweise ich auf die Äußerungen der Außenministerin, die schon öffentlich erklärt hat, dass ihr egal ist, was ihre Wähler sagen.
Offensichtlich wird die Zerstörung des Mittelstandes stillschweigend in Kauf genommen.

BF: … und was erwarten Sie jetzt von Ihren eigenen Verbänden?

Norbert Fischer: Auch hier sind meine Hoffnungen und Erwartungen sehr gedämpft. Sehen Sie, im Vorfeld zur Demo am 01.10.22 in Berlin habe ich verschiedene Verbände kontaktiert, z.B. den Verband „Tischler Schreiner Deutschland“, dem ich auch selbst als Obermeister angehöre.
Ich habe dort um Unterstützung gebeten. Aber die Teilnahme an Demonstrationen wurde nicht befürwortet. Der Bundesverband der Kreishandwerkerschaften unterstützt den Kurs der Bundesregierung und die Sanktionspolitik.
Die Zeichen der Zeit und die damit verbundene Notlage wurden von den Verantwortlichen ganz offensichtlich noch nicht erkannt. Möglicherweise gibt es aber auch einen ganz anderen Grund für die an den Tag gelegte Haltung. Staatliche Institutionen sind oft Fördermitglieder der Verbände.
Der Handwerkskammertag des Landes Brandenburg, dem die drei Handwerkskammern Potsdam, Cottbus und Frankfurt/Oder angehören, hat seine Enttäuschung nach den zwei Energiegipfeln zum Ausdruck gebracht. Der Präsident hat an die Politik appelliert, dass die besonders betroffenen Betriebe JETZT schnelle zusätzliche Unterstützung brauchen.

BF: Die Geschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft Oberhavel hatte schon in der Vergangenheit dazu aufgerufen, sich an den Montagsdemonstrationen in Oranienburg zu beteiligen. Die Demo am 17.10.2022 soll nun ganz im Zeichen der Handwerker stehen. Sie selbst werden dort auch das Wort ergreifen. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

Norbert Fischer: Ich muss darauf hinweisen, dass ich als Kreishandwerksmeister ein Ehrenamt ausübe. Die eigentliche Arbeit wird von den Angestellten der Kreishandwerkerschaft erbracht. Dennoch haben wir unser Vorgehen in Fragen der Öffentlichkeitsarbeit stets sehr eng abgestimmt.
Der Aufruf zur Teilnahme an den Montagsdemos geschah also auch in meinem Namen.
Der Grund sind die vielen täglichen Gespräche mit Handwerksbetrieben, sich doch endlich ihrer Sorgen anzunehmen. Meine Entscheidung, dort selbst einen Redebeitrag zu leisten, ist die logische Konsequenz aus der mangelnden Unterstützung von Regierung und Verbänden. Darüber sprachen wir bereits. Die entscheidenden Impulse müssen wohl von unten kommen.

BF: Rechnen Sie mit einer hohen Beteiligung Ihrer Kollegen? Wie wollen Sie die Handwerker mobilisieren?

Norbert Fischer: Ich hoffe auf eine hohe Beteiligung. Wir werden im Vorfeld viele Kollegen anrufen und auch andere Kreishandwerkerschaften kontaktieren.
Karl Krökel, Kreishandwerksmeister aus Dessau-Roßlau, der auch auf der Demo sprechen wird, reist derzeit viel herum. Er spricht mit Kollegen und trägt seine Enttäuschung auf die Straße. Natürlich bleibt es im Vorfeld unklar, wie viele Handwerker wir versammeln werden.

BF: Planen Sie auch Zeitungsanzeigen oder Radio-Spots zu schalten?

Norbert Fischer: Nein. Der Versuch wäre wohl sinnlos. Unsere Massenmedien sind offenbar anders ausgerichtet. Ich vermisse dort die notwendige Aufmerksamkeit für wirtschaftliche Probleme und ich vermisse kritischen Journalismus.

Vielen Dank für das Gespräch.