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Drohmails, Demokraten und die ominöse Zahl 15

Das Ringen um die Deutungshoheit über die Vorgänge am Veltener Bahnhof führt zu einem hohen Maß an Verwirrung. Vor der nächsten regulären Stadtverordnetenversammlung am 01.02.24 bringt Gabi Schade für die BF-Leser noch einmal Ordnung in die Geschehnisse der letzte Monate.

In den Tagen vor der letzten Stadtverordnetenversammlung am 07.12.2023 ging es in den sozialen Medien in Bezug auf das Thema Jugendbandenkriminalität hoch her. Ausgelöst wurde dieses durch ein Video des alternativen Mediums Compact-Magazin mit dem Titel „Araber tyrannisieren deutsche Schüler“, welches am 30.11.2023 auf Youtube veröffentlicht wurde [1]. Darin wird über die Situation in Velten aus Sicht von Betroffenen berichtet und der Bürgermeisterin wird unterstellt, nicht genügend zur Sicherheit der Stadt getan zu haben. Das Video wurde innerhalb von acht Tagen bereits über 190 000 Mal aufgerufen. Das Compact-Magazin veröffentlicht täglich Videos auf der Plattform Youtube zu politischen Themen, welche im Durchschnitt zwischen 30 – 90 Tausend Aufrufe haben. Die Bürgermeisterin Ines Hübner reagierte auf dieses Video am 02.12.2023 mit einem Statement über die sozialen Medien, indem sie sich an Eltern wandte und vor dem Compact-Video warnte. Sie wies daraufhin, dass das Compact-Magazin seit 2021 vom Bundesverfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde und die Darstellung im Video nicht der Realität entspräche und die ganze Stadt diskreditiert werden würde. Sie würde durch angebliche Untätigkeit angegriffen werden und fühle sich von unterschwelligen Drohungen betroffen.

Fünf Tage später dann am 07.12.2023 wurde nachmittags eine gemeinsame Erklärung der Bürgermeisterin Frau Hübner und des Stadtverordnetenvorstehers Marcel Siegert (Pro Velten) veröffentlicht [2]. Dieses geschah vor der um 18.30 Uhr stattfindenden Stadtverordnetenversammlung, zu der sich diesmal Mitarbeiter des Compact-Magazins angekündigt hatten. Unter Punkt 30 der Tagesordnung stand der Antrag der AfD „Mehr Sicherheit im Bahnhofsumfeld gewährleisten“ zur Abstimmung. Frau Hübner und Herr Siegert sahen eine gezielt initiierte Hetzkampagne gegen die Stadt Velten und somit gegen Frau Hübner persönlich in diesem Video. In der Erklärung wird gesagt, dass Gewaltandrohungen gegen die Bürgermeisterin bereits erfolgt wären.

Als dann kurz nach 18.30 Uhr die 30.Sitzung der SVV eröffnet wurde, blieb der Platz der Bürgermeisterin leer. Herr Siegert kündigte einen nichtöffentlichen Tagespunkt an und alle Zuschauer mussten den Sitzungssaal des Kommunikationszentrum verlassen. Im Vorraum konnte man durch die Tür Wörter wie „Polizei“ und „Verfassungsschutz“ vernehmen. Nach einigen Minuten durften alle wieder im Saal ihre Plätze einnehmen. Die Bürgermeisterin war allerdings noch immer nicht zugegen und die Sitzung war weiterhin unterbrochen. Herr Siegert verließ dann kurz den Saal durch den hinteren Ausgang und kehrte nach einem Moment zurück,um seinen Platz wieder einzunehmen. Dann wurde diese Tür plötzlich von außen geöffnet und Frau Hübner erschien in Begleitung von zwei Frauen. Nachdem sie dann ihren Platz eingenommen hatte, konnte die Sitzung fortgeführt werden. Zwei Mitarbeiter des Compact-Magazins hatten zwischenzeitlich auch im Zuschauerbereich Platz genommen.

Aufgrund der umfangreichen Tagesordnung von 37 Punkten wurde der Antrag der AfD-Fraktion erst gegen 21.40 Uhr behandelt. Sitzungsende laut Geschäftsordnung ist 22 Uhr. Herr Gehring, der Fraktionsvorsitzende wies die Stadtverordneten und Zuschauer auf die unhaltbaren Zustände hin, welche sich im Ausschuss für Sicherheit und Ordnung am 22.11.2023 im Veltener Ratssaal abgespielt hatten. Die BF berichtete darüber [3]. Das Auftreten des Revierleiters der Polizei Hennigsdorf Herrn Boye sei unverhältnismäßig gewesen. Dieser sei ihm ins Wort gefallen, als er Zweifel an der präsentierten Kriminalitätsstatistik äußerte und drohte ihm mit einer Anzeige wegen Verleumdung. Herr Boye hatte kein Rederecht von der Vorsitzenden des Ausschusses erteilt bekommen.

Daraufhin meldeten sich Stadtverordnete der Parteien Die Linke, SPD und FDP zu Wort. Herr Moser-Haas (Die Linke) sieht den Antrag als Teil einer kleinen Kampagne der rechten Blase. Compact würde in Stellung gebracht werden und die AfD würde versuchen aus den Straftaten politisches Kapital zu schlagen. Auch von seiner Partei gäbe es Bedenken gegenüber der Polizei. Zitat: „Sie haben im Ausschuss den Hinweis von Herrn Boye verdient.“ Dieser habe damit lediglich darauf hingewiesen, wo Verleumdung beginnt.

Ihm folgte Herr Noack (SPD Landtagsabgeordneter) Zitat: „Herr Gehring, sie haben die Chance verpasst, sich bei denjenigen zu entschuldigen, die für unsere Sicherheit mit sorgen – der Polizei. Ich war bei der Sitzung nicht dabei. Stadtverordnete sind Vorbild. Sie nicht Herr Gehring. Sie sind das Gegenteil und das fällt auf uns alle zurück, Vertreter der Polizei zu beschimpfen. Sie müssen an ihrem eigenen Gesellschaftsbild arbeiten. Demokratie ist für sie kein Wert, ihr pathologischer Migrantenhass führt dazu, dass sie nicht Herr ihrer Sinne sind. Mäßigen sie sich einfach, dass sie sich auch an demokratische Regeln halten.“

Der zweitjüngste Stadtverordnete Ole Gawande (FDP fraktionslos) findet, dass die Worte von Herrn Noack es fast getroffen hätten und er teilte Herrn Gehring mit, dass dieser sich für sein Verhalten schämen solle. Spätestens wenn die AfD wieder auf dem Marktplatz eine Kundgebung machen würde, würde mit deren Reden aufgebauschte Probleme und somit Angst geschaffen werden.

Herr Wolinski (Die Heimat ehemals NPD) unterstützte Herrn Gehring und wies Herrn Noack daraufhin, dass dieser nicht bei der Ausschusssitzung anwesend gewesen sei und sich somit kein Urteil erlauben dürfe. Seiner Meinung nach werden die Vorkommnisse reduziert und es würde stattdessen über parteipolitische Dinge diskutiert werden. Es gäbe eine große Diskrepanz zwischen den Zahlen der Polizeistatistik und den Aussagen der Leiterin des Jugendfreizeitzentrums Oase.

Nach einem kurzen Redebeitrag von Herrn Gehring, in dem er auf seine Vorredner einging, meldet sich der als Staatsanwalt tätige Herr Gordjy (SPD, Kreistagsabgeordneter) zu Wort. Zitat: „Sie wollen Meinungsfreiheit und meinen Widerspruchsfreiheit. Ich garantiere ihnen, das werden sie nicht haben, das ist Kampf für Demokratie, Kampf gegen sie. Die Polizei muss Straftaten verhüten und es war die Pflicht von Herrn Boye, sie darauf hinzuweisen.“ In seinen weiteren Ausführungen merkte er an, dass er von Herrn Gehring nicht erwarte, dass dieser Vertrauen in die Menschen und Institutionen habe, weil er nicht imstande sei, dieses zu leisten. Er würde das Vertrauen in die Justiz erschüttern, sowie das System und unseren Rechtsstaat in Frage stellen. Das Ganze sei unterste Schublade und unwürdig.

Der Vorsitzende der SVV Marcel Siegert bat darum, sich wieder dem Inhalt des Antrages zu widmen. Er sieht die Problematik, dass die Stadt nicht die Möglichkeit hat, Kameras aufzustellen und Einfluss auf die Einsätze der Polizei zu nehmen. Bereits ein Jahr zuvor wären Mittel für Streetwork im Haushalt eingestellt worden. Aber nichts passierte hinsichtlich einer Ausschreibung oder Einstellung. Der Antrag der AfD suggeriert aus seiner Sicht lediglich, dass sich etwas ändert.

Herr Moser-Haas meinte dann rhetorische Spielchen dahingehend zu erkennen, dass Herr Gehring die polizeiliche Statistik anzweifelt, um damit das Vertrauen in die Polizei zu untergraben. Aus diesem Grund würde die Bereitschaft, Anzeigen zu erstatten, zurückgehen.

Der letzte Redebeitrag der Debatte kam von Herrn Wolinski. Er wies darauf hin, dass es bereits seit 2017/18 Probleme mit Jugendgruppen bei den Hafenfesten gab und man vielleicht auch mal die Sicherheitsfirmen befragen könnte, die dort derzeit eingesetzt waren. Die Dynamiken wären da. Denn sonst wären auch sicherlich nicht fünf Zivilpolizisten beim Stadtfest im Mai 2023 vor Ort gewesen.

Aufgrund der Uhrzeit wurde die Sitzung um 22 Uhr beendet. Eine Abstimmung zur zeitlichen Verlängerung fand keine Mehrheit. Ebenso wenig eine Abstimmung, dass die Sitzung eine Woche später fortgeführt werden soll. Herr Siegert ordnete dieses daher vorsorglich an; verwies aber darauf, dass er die Richtigkeit dieser Anordnung mit der Kommunalaufsicht abklären müsse. Einige Tage später erfolgte dann eine fristgerechte Einladung zum 11. Januar 2024, um die Abstimmung und die restlichen Tagesordnungspunkte abzuarbeiten.

Am 08.12. 2023, einen Tag nach der Stadtverordnetenversammlung erschien dann ein Artikel in der Märkischen Allgemeinen Zeitung mit der Überschrift „Veltens Bürgermeisterin wird nach „Compact TV“- Beitrag bedroht [4]. Diese Tageszeitung mit der reichweitenstärksten Auflage in Brandenburg befindet sich seit 2012 im Besitz der Madsack-Mediengruppe. Die SPD ist der größte Gesellschafter dieser Gruppe [5], [6] und so ist es nicht verwunderlich, dass man dann am Abend im Internet auf den Seiten von Zeit Online, dem Tagesspiegel, dem Deutschlandfunk und weiteren Onlinezeitungen ähnlich lautende Artikel fand. In der Abendschau vom rbb24 gab es auch einen knapp einminütigen Beitrag zu dem Thema.

Vom Compact-Magazin erschien dann in der Woche vor Weihnachten eine Print-Sonderausgabe

„Gewalt in Velten- Schulkinder in Gefahr“ [7]. Davon wurden in einer nächtlichen Verteilaktion 5000 Exemplare im Stadtgebiet verteilt. Am nächsten Tag gab es dann ein weiteres Video, in dem über die Aktion und den Inhalt der Sonderausgabe berichtet wurde [8]. Compact sieht sich einer medialen Hetzkampagne der SPD ausgesetzt, in der die Bürgermeisterin Frau Hübner als Opfer dargestellt wird. Über die Jugendlichen, welche wirklich Opfer von körperlicher Gewalt wurden, wurde indessen nicht berichtet. Das Magazin erwähnte außerdem, dass den beiden jungen Reportern, welche bei der Stadtverordnetenversammlung am 07.12.2023 zugegen waren, dass Filmen und Fotografieren während der Sitzung untersagt wurde.

Die Stadtverwaltung Velten hat in ihrer Dezemberausgabe „Velten kompakt“ dem Thema „Jugendtreffpunkt Bahnhof“ einen dreiseitigen Faktencheck gewidmet [9]. Darin wird über die Wahrnehmung von Polizei und Ordnungsamt bei den Kontrollgängen am Abend berichtet und auch nochmals auf die nur drei vorliegenden Strafanzeigen wegen Raubdelikten Stand 14.12.2023 eingegangen. Die Aussage von der Leiterin des Jugendfreizeitzentrums Oase Frau Scherdin im Ausschuss für Sicherheit und Ordnung am 22.11.2023, dass ihr 15 Fälle bekannt seien, wurde darin als „Hörensagen“ eingeordnet. Die Verwaltung möchte jetzt mit Hilfe der Mitarbeiter der Oase und einem Netzwerk bestehend aus der Verwaltung, der Polizei, Schulsozialarbeitern präventiv tätig werden. Auch wurde in der SVV am 07.12.2023 die Finanzierung einer weiteren Stelle für mobile Jugendarbeit beschlossen. Der Antrag dazu kam von der Fraktion Pro Velten.

Die Fortsetzungssitzung der SVV am 11.1.2024 wurde nunmehr kurzfristig mit der Begründung eines Formfehlers bei der fristgerechten Ladung abgesagt. Eine rechtliche Bewertung durch eine externe Anwaltskanzlei wurde in Auftrag gegeben. Somit werden die Abstimmung des Antrages der AfD zur Sicherheit im Bahnhofsumfeld und die noch fehlenden sieben Tagesordnungspunkte in der nächsten regulären Sitzung am 01.Februar 2024 behandelt.

[1] https://www.youtube.com/watch?v=VKGZEuMOZbU
[2] https://velten.de/Verwaltung-Politik/Aktuelles/Nachrichten/Gemeinsame-Erkl%C3%A4rung-von-B%C3%BCrgermeisterin-Ines-H%C3%BCbner-und-Stadtverordnetenvorsteher-Marcel-Siegert.php?object=tx,3631.5.1&ModID=7&FID=3631.4801.1&NavID=3631.12&La=1&kat=3631.3&max=15
[3] https://brandenburgerfreiheit.de/keine-sicherheit-in-sicht/
[4] https://www.maz-online.de/lokales/oberhavel/velten/velten-buergermeisterin-huebner-wird-nach-beitrag-von-compacttv-bedroht-ZTRHULUC2RFBLHSBQXBFG4BJUM.html
[5] https://www.achgut.com/artikel/neues_von_der_medienmacht_der_spd
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%A4rkische_Allgemeine
[7] https://www.compact-online.de/wp-content/uploads/2023/12/cmp_202312_fb-velten_e-paper.pdf
[8] https://www.youtube.com/watch?v=Xm7wqogjbUU
[9] https://velten.de/cms/aktuelles/velten-kompakt/