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Keine Lobby für 100.000 Tonnen DDR-Geschichte

Der Atomschutzbunker in Harnekop bei Prötzel (MOL) ist ein einzigartiges Dokument der Zeitgeschichte. Mit viel Leidenschaft, Engagement und eigenem Geld sorgte ein Verein aus Berlin nicht nur für den Erhalt des Bauwerks sondern bot auch Interessierten Führungen durch den Bunker an. Doch damit könnte nun bald dauerhaft Schluss sein.

Bauwerke wie die Festungen Königstein oder Rheinfels sind auf ihre Weise historische Dokumente. Als Schutzbauten zeugen sie vor allem von der Fähigkeit der Bauherren, sich wirksam gegen die Waffensysteme ihrer Zeit zur Wehr zu setzen. Doch damit nicht genug. Neben technischen Details über Baumaterialien und Mauerwerksdicken erfahren ihre Besucher heute auch viel über das Leben im Inneren der Festungen. Darüber, wie sich die Menschen drinnen mit Wasser, Luft und Nahrung versorgten, welche Arbeiten sie verrichteten und wie sie mit der Außenwelt kommunizierten. In dieser Hinsicht gleicht der Atombunker in Harnekop (Brandenburg) seinen berühmten Vorgängern an Elbe und Rhein. Auch er ist ein Meisterwerk seiner Zeit.

Etwa 40.000 Kubikmeter Stahlbeton wurden von 1971-1976 in Harnekop bei Prötzel (Landkreis Märkisch-Oderland) verbaut. Der Bunker hat 220 Räume und bot Platz für 450 Insassen. Sie waren hier vor einer Kernwaffendetonation mit 1 Megatonne Sprengkraft in 1km Entfernung geschützt. Der Bau war dafür ausgelegt, 7,5-facher Erdbeschleunigung in vertikaler Richtung und 2,5-facher Erdbeschleunigung horizontal zu widerstehen. Zum Vergleich: Im Flugverkehr geht man von 3,0-facher bzw. 1,5-facher Erdbeschleunigung aus. Unter der Wucht einer nuklearen Explosion konnte sich der 100.000 Tonnen schwere Koloss um bis zu 40cm im Ganzen verschieben. Flexibel verlegte Versorgungsleitungen ermöglichten, dass der Bunker seine Anschlüsse nicht verlor. Mit Gesamtkosten von rund 78 Mio. Mark der DDR blieb der Bau im vorgesehenen Kostenrahmen und stellt somit auch in dieser Hinsicht für so manches Bauprojekt der Gegenwart ein leuchtendes Beispiel dar. In den Büchern wurde das Projekt übrigens als „Flugwetterstation“ geführt, um es vor der gegnerischen Aufklärung zu verstecken. Die NATO kannte das Objekt zwar, wusste aber bis 1990 nicht um den Zweck des Bunkers.

Bettenraum
Dienstzimmer Minister

Gedacht war der Bau als Schutzbunker für den Fall eines Kernwaffenangriffs auf die DDR. Dabei ging es nicht etwa darum, einer politischen Führungsriege Unterschlupf zu bieten. Nein, der Bau war die Hauptführungsstelle der Nationalen Volksarmee (NVA). Im Ernstfall sollten der Minister der Verteidigung und die höchsten Generäle von hier aus die Landesverteidigung organisieren. Lagemeldungen liefen hier zusammen, Strategien wurden entwickelt und Befehle nach außen erteilt. Im unterirdischen Lagezentrum konnte man nicht nur das Fernsehen der DDR und diverse Westsender empfangen. Die militärische Führung hatte die Möglichkeit, sich von hier aus direkt in das Programm des DDR-Fernsehens einzuschalten und seine Botschaften zu übermitteln.

Auch wenn sich der Minister und die obersten Generäle praktisch nie für längere Zeit im Bunker aufhielten, verrichteten hier viele Armeeangehörige von 1976 bis 1989 tagtäglich ihren Dienst. Der Bunker beherbergte eines der modernsten Rechenzentren der DDR. Es verarbeitete nicht nur militärische Daten. Auch zivile Einrichtungen konnten hier gegen eine Gebühr Berechnungen durchführen lassen. Die Einnahmen halfen, die Anlage zu amortisieren.

Lagezentrum
Rechenzentrum

Die Rechner und andere Anlagen im Bunker produzierten während des Betriebes so viel Abwärme, dass Heizsysteme unnötig waren. Die Wärme musste stattdessen über eine Klimaanlage abgeführt werden. Beim Ausfall der Klimaanlage in der Bunkerküche erreichten die Temperaturen dort einmal ca. 70°C. Lediglich 3 Räume besaßen aufgrund ihrer ungünstigen Lage eine Heizung. Ohne den laufenden Betrieb der Anlagen liegt die Temperatur im Bunker ganzjährig zwischen 8 und 10°C.

1,5 Meter dicke Außenmauern sollten die Insassen vor den Detonationswellen in der Außenwelt schützen. Die Bodenplatte war sogar 3m dick. Den Eingang des Bunkers ziert eine 2,5t schwere Stahltür. Für ihre drehbare Lagerung wurden Kegelrollenlager verwendet, wie man sie auch beim Schwerlast-LKW vom Typ „Ural“ einsetzte. Eine spezielle Abdichtung der Tür verhinderte, dass das Metall unter der Hitzeeinwirkung einer nahen Kernexplosion mit dem Rahmen verschmolz.

Im Inneren des Bunkers sorgt ein ausgeklügeltes Belüftungssystem für den notwendigen Sauerstoff. Es nimmt etwa ein 1/3 des gesamten Raumvolumens ein. Nur im Ernstfall wurde die Verbindung zur Außenluft unterbrochen. Schnellverschlüsse sorgten dafür, dass dies in nur 0,9s geschah. Das war in etwa die Zeit, die bei einer nahen Kernwaffendetonation zwischen dem sogen. Gammablitz und der sich ausbreitenden Druckwelle verging. Im abgeschotteten Zustand erfolgte die Luftversorgung über mehrstufige Filteranlagen, die nicht nur radioaktive Partikel herausfilterten sondern auch vor chemischen und biologischen Kampfstoffen schützten.

Eingangstür zum Bunker
Gammablitz- und Drucksensor auf Sockel

Das Wasser für die technischen Anlagen und die Versorgung der Insassen wurde in ca. 60m Tiefe gefördert. Filteranlagen sorgten für die notwendige Qualität des Brauchwassers und Trinkwassers. Insgesamt 6 Brunnen konnten bis zu 235 Kubikmeter Wasser je Stunde fördern. Der Wasserbedarf des Bunkers und des gesamten Kasernenobjektes war im Normalbetrieb wesentlich niedriger. Selbst mit der Lieferung von Trinkwasser an die umliegenden Gemeinden wurde die max. Förderleistung nicht erreicht.

Im Bunker lieferten 4 Dieselgeneratoren mit einer Gesamtleistung von 1,6MW die notwendige elektrische Energie. Die Kraftstofftanks fassten 110.000 Liter – genug um die Anlagen im Bunker für 25 Tage mit den erforderlichen 1,2MW Leistung zu versorgen. Um die Übertragung von Vibrationen im Bunker zu reduzieren wurden die Dieselgeneratoren ebenso für wie die Gefrierzelle federnd gelagert. Dies erschwerte dem Gegner die Ortung der Bunkeranlage.

Die Fernmeldeanlage im Bunker konnte sich mit jener einer mittleren Kreisstadt messen. Denn hier liefen im wahrsten Sinne des Wortes viele Drähte der militärischen Kommunikation zusammen. Anders als im Rest des Landes waren Telefone im Bunker keine Mangelware. Insgesamt gab es etwa 400 Stück davon. Das waren mehr als in den umliegenden Gemeinden zusammen. Austauschbare Sicherungen schützten die empfindliche Technik sogar vor elektromagnetischen Impulsen.

Dieseltanks – in Außenwand ein
Fernmeldetechnik
Sicherungen gegen elektromagn. Impuls

Die Liste der technischen Finessen und der Superlative lässt sich noch lange fortsetzen. Doch egal wie lang dieser Beitrag auch ausgeführt wird, er kann einen Besuch des Bunkers nicht ersetzen. Diese Dinge muss man mit eigenen Augen gesehen haben. Führungen durch die Anlage bietet der Verein für die Erinnerung und Bewahrung von Zeitgeschichte e.V. noch bis zum 14. Mai 2023 an. Dann soll Schluss sein, denn der Pachtvertrag mit den Eigentümern endet Mitte Mai.

Die Weiternutzung des Bunkers als öffentlich zugängliches Baudenkmal ist nicht ausgeschlossen. Aber qualifizierte Führungen durch das Bauwerk mit authentischen Darstellungen zu Geschichte und Technik, Erläuterungen, die auch durch Zeit- und Augenzeugen gestützt sind, wird es nicht mehr geben. Auch die mißbräuchliche Nutzung ist nicht ausgeschlossen.

Daran ändert womöglich auch der Status des Bauwerks als eingetragenes Denkmal des Landes Brandenburg nichts. Denn bislang lassen weder Kommunalpolitiker noch Behörden ein großes Interesse an dem Objekt erkennen. Ob Nachnutzer und Eigentümer der gesetzlich vorgeschriebenen Erhaltungspflicht nachkommen werden, steht in den Sternen. Viel wird davon abhängen, inwiefern sich Denkmalschutzbehörden und das zuständige Ministerium von Manja Schüle für den Fall interessieren und engagieren. Aber auch Bürger, denen am Erhalt der Anlage liegt, sollten ihren Wunsch klar artikulieren. Denn der Bunker besitzt mit seiner DDR-Vergangenheit einfach keine Lobby. Wie so oft gilt auch in diesem Fall: ohne öffentlichen Druck werden die Dinge ihrem Lauf überlassen.

Fotos: Jan Müggenburg

Rohrpostanlage
sanitäte Einrichtungen
Arbeitsplatz Dispatcher