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Für den nuklearen Ernstfall: Was leisten Kaliumiodidtabletten?

Mit zunehmender Eskalation im Ukraine-Konflikt geraten Kernkraftwerke und Lager für Munition mit abgereichertem Uran immer öfter ins Visier der Kombattanten. Einige Militärs diskutieren sogar ganz offen den Einsatz von taktischen Atomwaffen und das nicht nur auf dem Schlachtfeld in der Ukraine. Angesichts dieser Entwicklung fragen sich immer mehr Menschen, wie man sich in einem nuklearen Notfall wirksam schützt. Welchen Beitrag sogen. Jodtabletten dabei leisten können, wer sie einnehmen sollte und vor allem wann, erfahren BF-Leser in diesem Beitrag von Jan Müggenburg.

Um Eines vorweg zu nehmen: Jodtabletten sind kein Allheilmittel bei einem nuklearen Notfall. Bei korrekter Einnahme in einem sehr engen Zeitfenster können sie Menschen vor der Einlagerung von radioaktivem Jod in die Schilddrüse schützen. Ist es dort erst einmal eingelagert kann es in nennenswertem Umfang Gewebeanteile zerstören und in der Folge zu einer Schilddrüsenunterfunktion führen. Bei geringeren Strahlendosen sind dagegen Zellmutationen wahrscheinlicher, die letztlich zu Schilddrüsenkrebs führen können [1].

Radioaktives Jod wird bei Reaktorkatastrophen wie jener in Tschernobyl freigesetzt. Über Luftbewegungen kann es zu uns und in unseren Körper gelangen. Dies geschieht sowohl über das Einatmen als auch über den Verzehr kontaminierter Nahrung [1]. Ukrainische Kernkraftwerke sind jedoch relativ weit entfernt und Wetterlagen, die Luftmassen von dort nach Deutschland bringen sehr selten. Statistisch ist das nur an 60 Tagen im Jahr der Fall, weiß das Bundesamt für Strahlenschutz zu berichten [2].

Neben dem Ansatz die Einlagerung von radioaktivem Jod in die Schilddrüse durch die Einnahme stabilen Jods zu verhindern (sogen. Jodblockade), können bei einem Nuklearunfall auch andere Maßnahmen sinnvoll sein. Hierzu zählen der Aufenthalt in Gebäuden bei geschlossenen Fenstern und Türen oder auch die Evakuierung aus einem besonderen Gefahrengebiet. In Hinblick auf die Vermeidung der Aufnahme größerer Mengen von radioaktivem Jod mit der Nahrung spielt die behördliche Kontaminationsüberwachung der Nahrungsmittel und des Trinkwassers eine große Rolle [1].

Der günstigste Zeitpunkt für die Einnahme hochdosierter Jodtabletten ist kurz vor der Aufnahme des radioaktiven Jods. Aber auch kurz danach lässt sich noch ein deutlicher Schutz gegen die Speicherung radioaktiven Jods nachweisen. 24 Stunden nach abgeschlossener Aufnahme radioaktiven Jods über die Luft oder die Nahrung lässt sich kein Schutz durch die Einnahme des stabilen Jods mehr erzielen. Im Gegenteil, die Verweildauer des radioaktiven Jods in der Schilddrüse kann dadurch sogar noch verlängert werden. „Werden die Jodtabletten zu früh, d. h. mehr als 24 Stunden vor der Aufnahme von radioaktivem Jod eingenommen, ist eine erneute Einnahme erforderlich.“ [1].

Um zu erfahren, wann genau der richtige Zeitpunkt für die Einnahme von Kaliumiodidtabletten ist, sollte man die Informationen der Behörden verfolgen. Grundlage für die Beurteilung radioaktiver Gefährdungslagen ist in der Bundesrepublik ein dichtes Netz von Messstellen [3]. Deutschlandweit sind ca. 1600 Messstellen in Betrieb, allein in Brandenburg 106 [4].

Es gilt zu beachten, dass der Mensch ständig einer natürlichen Strahlenbelastung ausgesetzt ist. Auch einzelne Ereignisse wie die Röntgenaufnahme des Brustkorbes (0,01 – 0,03 Millisievert) oder ein Flug von München nach Japan (0,1 Millisievert) stellen für die meisten Menschen kein Problem dar [5]. Anders verhält es sich aber mit höheren Belastungen bei Ereignissen wie einem GAU in einem Kernkraftwerk oder dem Durchzug einer radioaktiven Wolke. Auch wenn das Messstellennetz gestattet, die Werte online mitzuverfolgen, sollte man die Beurteilung der Lage den Profis der Behörden überlassen und ihre Veröffentlichungen beachten. Das gilt insbesondere für die Frage, ob die Einnahme von Jod-Tabletten angezeigt ist.

Für den Ernstfall gibt die Strahlenschutzkommission folgendes Dosierungsschema an [6]. Die Angaben beziehen sich dabei auf eine typische Tablette mit 65mg Kaliumiodid.

PersonengruppeTabletten à 65mg
Kaliumiodid
Tagesabgabe in mg
Kaliumiodid
Geburt bis 1 Monat¼16,25
1 Monat bis 3 Jahre½32,5
3 Jahre bis 12 Jahre165
älter als 12 J. bis 45 J.2130
Bei Tabletten mit anderen Kaliumiodidgehalten bitte die jeweiligen Dosisangaben beachten.

Schwangere und Stillende erhalten die gleiche Joddosis wie die Gruppe älter als 12 Jahre bis 45 Jahre. Das Gleiche gilt für operierte Patienten nach teilweiser Entfernung der Schilddrüse [6].

Die Einnahme von Kaliumiodid sollte aufgrund potenzieller Reizung der Magenschleimhaut möglichst nicht nüchtern erfolgen. Die Tabletten können geschluckt oder in Flüssigkeit gelöst eingenommen werden. Die Einnahme kann – vor allem für Säuglinge und Kinder – durch Auflösen der Tablette in einem Getränk, z. B. Wasser oder Tee, erleichtert werden. Die Lösung ist jedoch nicht haltbar und muss sofort getrunken werden [6].

Bei über 45-Jährigen führt die Nutzen-Risiko-Abwägung zur Empfehlung, keine Jodblockade durchzuführen [6]. Das relative Risiko für diese Personengruppe, nach Strahlenexposition an Schilddrüsenkrebs zu erkranken, ist deutlich geringer als für Kinder und Jugendliche (< 18 Jahre). Ob es bei älteren Menschen (>45 J.) Jahren überhaupt zu strahleninduzierten Schilddrüsenkarzinomen kommen kann, ist nicht ganz sicher. Bei einer Latenzzeit von 30-40 Jahren, ist zudem fraglich, ob Betroffene eine manifestierte Krebserkrankung überhaupt erleben. Auf der anderen Seite besteht bei dieser Gruppe das nicht zu vernachlässigende Risiko einer Schilddrüsenüberfunktion bei Aufnahme hoher Jodmengen wie bei der Jodblockade [6].

In Deutschland sind nach Angaben des Umweltministeriums 189,5 Millionen Kaliumiodidtabletten (Jodtabletten) in den Bundesländern bevorratet. Sollte radioaktives Jod in die Luft eindringen, werden sie in den möglicherweise betroffenen Gebieten durch die Katastrophenschutzbehörden verteilt [7]. Wer sich jedoch nicht auf die staatlichen Stellen verlassen möchte, findet in der Apotheke seines Vertrauens entsprechende Angebote.

Jodtabletten schützen jedoch nicht vor Strahlung, die von außerhalb den Körper trifft. Außerdem schützen sie nicht vor der Wirkung anderer radioaktive Stoffe wie sie beispielsweise bei der Explosion von Atombomben freigesetzt werden [1], [8]. Setzen wir uns daher dafür ein, dass es nie wieder dazu kommt.

[1] https://www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse_PDF/2018/2018-04-26Jodmerk.pdf;jsessionid=B2780BDE86C3AED6529C85426E9DDB73.2_cid382?__blob=publicationFile
[2] https://www.bfs.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/BfS/DE/2022/0225-ukraine.html
[3] https://odlinfo.bfs.de/ODL/DE/themen/wo-stehen-die-sonden/karte/karte_node.html
[4] https://odlinfo.bfs.de/ODL/DE/themen/wo-stehen-die-sonden/liste/liste_node.html;jsessionid=6835B6DBB5B59F44E54A95BA44AB0448.1_cid391
[5] https://www.bfs.de/DE/themen/ion/strahlenschutz/grenzwerte/grenzwerte.html#vergleich
[6] https://www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse_PDF/2018/2018-04-26Jodmerk.pdf?__blob=publicationFile
[7] https://www.jodblockade.de/
[8] https://rp-online.de/leben/gesundheit/jodtabletten-atomkrieg-oder-reaktorunfall-schutz-vor-radioaktiver-strahlung_aid-66695279

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