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Mützenich in Birkenwerder: Krieg wird nicht auf dem Schlachtfeld entschieden

Am 14.05.24 luden die SPD-Ortsvereine Birkenwerder und Hohen Neuendorf zum Bürgerdialog mit ihrem Bundestagsfraktionsvorsitzenden und kaum jemand kam. Dabei gilt Mützenich innerhalb der SPD als ausgewiesener „Friedenspolitiker“. Im selbst auferlegten Korsett des „Sagbaren“ lieferte Mützenich den Zuhörern das, was sie von ihm erwarten konnten. Für die Überraschung des Abends sorgte indes jedoch ein anderer.

Knapp 60 Teilnehmer fanden am 14.05.24 den Weg in die Pestalozzi-Grundschule Birkenwerder zum Bürgerdialog mit Rolf Mützenich. Allein der SPD-Ortsverein in Hohen Neuendorf hat nach eigenen Angaben 120 Mitglieder [a], rund 600 Mitglieder der Kreisverband Oberhave] [b]. Wenn die Teilnehmerzahl trotz aufwendiger Plakatierungen so bescheiden ausfällt, zeugt das nicht von besonders großem Interesse – weder innerhalb der Partei noch in der breiteren Öffentlichkeit.

Mützenich ist zweifellos kein schriller Talkshow-Dauergast wie Karl Lauterbach oder Kevin Kühnert. Obendrein steht er im Ukraine-Konflikt eher auf der Bremse, wenn es darum geht, Deutschland möglichst schnell aktiv in das Kriegsgeschehen zu verwickeln. Für Ariane Fäscher (MdB, SPD), die den Abend moderierte, ist er „einer der renommiertesten Friedenspolitiker der SPD“. Doch damit trifft Mützenich nicht den medial verbreiteten Zeitgeist. Geht es nach der veröffentlichten Meinung, soll Deutschland wieder kriegstüchtig werden und westliche Werte verteidigen – auch in der Ukraine.

Nach SPD-Maßstäben trifft Fäschers Einschätzung durchaus zu. Erst kürzlich erteilte Mützenich auf seiner Webseite Plänen für eine europäische Atombombe eine Absage. Seine Botschaft war vor allem an Ex-Außenminister Fischer und den Politikwissenschaftler Herfried Münkler adressiert [c]. Dass die SPD-Spitzenkandidatin für die Europa-Wahl, Katarina Barley, in dasselbe Horn stieß [d], ließ Mützenich auch an diesem Abend in Birkenwerder unerwähnt.

Einleitend verteidigte Mützenich in seinem gut 20-minütigen Monolog die Arbeit der Ampel. Mindestlohn, Rentenpaket, AfD-Kritik und die Unterstützung der Ukraine – professionell führt Mützenich die Zuhörer durch eine Vielzahl von Themen und verteilt seine Hauptbotschaft: „die Ampel ist besser als ihr Ruf“. Als Beleg führen Mützenich und Fäscher die Vielzahl der Gesetze an, die in dieser Legislaturperiode bereits verabschiedet wurden. Dass sich die Kritik an der Ampel eher an der Qualität der Gesetze als an ihrer Anzahl entzündet, scheint den Sozialdemokraten dabei nicht in den Sinn zu kommen.

Einen inhaltlichen Schwerpunkt des Abends bildete der Ukraine-Konflikt sowohl in Mützenichs Vortrag als auch bei den sich anschließenden Bürgerfragen. Wie nicht anders zu erwarten verteidigte Mützenich die Unterstützung der Ukraine. Rund 28 Mrd. Euro seien seit Kriegsbeginn bereits an die Ukraine geflossen als Waffenhilfe, Soforthilfe und Wiederaufbauhilfe. Dass dieser Betrag einen großen Teil der aktuell in der Koalition diskutierten Finanzierungslücke von 30-60 Mrd. Euro ausmacht, fiel auch dem Publikum auf. Mützenich plädierte in diesem Zusammenhang dafür, „auch mal Risiken in Karlsruhe“ einzugehen. Dass die Ampel genau damit erst Ende letzten Jahres Schiffbruch erlitt [e], blieb ebenso unerwähnt.

„Ich glaube nicht, dass der Krieg auf dem Schlachtfeld entschieden wird.“ – Rolf Mützenich, SPD Bundestagsfraktionsvorsitzender am 14.05.2024 in Birkenwerder zum militärischen Konflikt in der Ukraine.

Unmissverständlich machte Mützenich klar, dass er trotz seiner Haltung zur militärischen Unterstützung der Ukraine keine Perspektive für eine Lösung des Konflikts auf dem Schlachtfeld sieht. Offen blieb dagegen, welche Handlungsspielräume er für Verhandlungen sieht und welche diplomatischen Hebel nach seiner Einschätzung in der Hand der Bundesregierung liegen. Unklar blieb auch, wie eine europäische Sicherheitsstruktur von der Atlantikküste bis zum Ural aussehen könnte, die einen weiteren europäischen Krieg verhindert.

Etwas überraschend waren unterdessen die Äußerungen eines anderen Sozialdemokraten. Dirk Blettermann, SVV-Vorsitzender in Oranienburg und stellvertretender Vorsitzender des Kreistages Oberhavel, bezeichnete führende Bundespolitiker als „Kriegsrhetoriker“. Dazu zählte Blettermann
Außenministerin Baerbock ebenso wie Anton Hofreiter, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Roderich Kiesewetter. An Mützenich gewandt forderte er, „Frieden“ aus sozialdemokratischen Mündern zu hören.

Offen lies Blettermann, warum er seinen privilegierten Zugang zur SPD-nahen Regionalpresse nicht nutzt, um selbst zu einer Stimme des Friedens zu werden. Neben der regional bedeutenden MAZ (Madsack-Gruppe, 23% SPD-Beteiligung) hat Blettermann außerdem noch Zugriff auf die redaktionelle Gestaltung des „Rotkehlchens“, einem lokalen Infoblatt der SPD Oranienburg. Das Rotkehlchen wird kostenlos an viele Haushalte der Stadt mit fast 50.000 Einwohnern verteilt.

Widersprüchlich ist zudem, dass Blettermann Ende 2022 selbst daran beteiligt war, einen Antrag der Linken für einen Friedensappell an Bundeskanzler Scholz im Kreistag abzulehnen. Vorausgegangen war eine inhaltlich ähnliche Petition der Bürgerinitiative Oberhavel-Steht-Auf mit rund 1.200 Unterstützerunterschriften. Seinerzeit wurden formale Einwände über ein deutliches Signal für den Frieden gestellt. Aber vielleicht setzt unter den Blockierern von damals angesichts einer zunehmenden Eskalation des Konflikts sowie Hunderttausender getöteter Soldaten ein Umdenken ein.

[a] https://www.spd-hohen-neuendorf.de/ortsverein/
[b] https://spd-ohv.de/
[c] https://www.rolfmuetzenich.de/publikation/atomare-gespenster-vertreiben
[d] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/verteidigung-atomare-abschreckung-100.html
[e] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-101.html


Text & Foto: Jan Müggenburg