– Eine tragische deutsch-ukrainische Kindesentführungeschichte zu Weihnachten 2024 –
Von Gabriele Schade
Im Mai 2023 lernte ich den Berliner Anatol Jung kennen, von Beruf Physiker und Vater zweier Kinder. Als Wegbegleiter und Unterstützer des freien Journalisten Billy Six war er aus München zur Gerichtsverhandlung um dessen venezolanische Haftaffäre am Berliner Oberverwaltungsgericht angereist. Die „Brandenburger Freiheit“ berichtete ausführlich darüber [1].
Anatol war viele Jahre lang Qualitäts- und Sicherheitsprüfer bei der Deutschen Bahn. Er wurde entlassen, nachdem er in einem internen Bericht den desaströsen Zustand des deutschen Schienennetzes analysiert hatte [2]. Dieses Gemeinwohl-Thema bleibt ihm ein großes persönliches Anliegen. Wir werden an anderer Stelle darüber berichten.
Familiär hat Anatol noch ein weitaus schwereres persönliches Schicksal zu tragen. Seine geliebten Söhne Emil und Elias sind seit 2013 von seiner Ex-Frau Iryna in die Ukraine entführt und werden dort mit staatlicher Komplizenschaft isoliert und zurückgehalten. Nach seinen letzten Informationen befinden sich die beiden in Kiew. Mit der russischen Großinvasion vor über eintausend Tagen sind sie zu existentiell bedrohten Kriegskindern geworden. Anatol ist bemüht, seine Kinder nach Deutschland zu holen, um ihnen ein sicheres und liebevolles Zuhause und eine Zukunft in Frieden und Wohlergehen zu ermöglichen. Doch die Behörden in Kiew und auch in Berlin verweigern jegliche Unterstützung und vereiteln die völkerrechtlich gebotene Rückführung der Kinder mit allen bürokratischen Mitteln. Selbst der Krieg veranlasst sie nicht zum Umdenken.
Ich habe mit Anatol über seinen jahrelangen Kampf um Emil und Elias gesprochen. Das Interview wird aufgrund seiner Länge in zwei Teilen veröffentlicht. Der erste Teil befasst sich überwiegend mit den menschlichen Aspekten dieses Entführungsdramas. Im zweiten Teil geht es um all die staatlichen und politischen Missbräuche und Machenschaften als bestimmende Faktoren für die jetzige Lage der Kinder im Krieg.
Teil I: Menschliches Drama der Kindesentführung
BF: Anatol, können Sie uns bitte die Vorgeschichte der aktuellen Entführungslage mitten im Ukraine-Krieg schildern ?
Anatol Jung (AJ): Das ist eine äußerst tragische Sache. Ich lernte Iryna, die Mutter meiner Kinder, 2010 als Wanderer im Krimgebirge kennen. Wir blieben in Verbindung und fanden dabei Schritt für Schritt zueinander. 2011 entschieden wir uns für eine gemeinsame Zukunft. Als 2012 unser erster Sohn Emil unterwegs war, heirateten wir in der Ukraine. Als Lebensmittelpunkt hatten wir uns auf meinen Wohnort München geeinigt. Emil kam in einem baufälligen Krankenhaus in Kiew zur Welt. Medikamente, Lebensmittel und vor allem Bakschisch für die Gynäkologin mussten mitgebracht werden. Die ukrainische Welt hat halt ihre Besonderheiten. Wie folgenschwer diese Besonderheiten sein können, war mir damals noch nicht klar.
Im Rahmen der amtlichen Familienzusammenführung begannen wir im Frühjahr 2013 unser Leben zu dritt in Deutschland. Mit Irynas und meiner schriftlichen Zustimmung erhielt Emil den deutschen Pass und wurde somit Bundesbürger mit ordentlichem Wohnsitz in München. Er war ein sehr fröhliches und aufgeschlossenes Kind, und er konnte seine Umgebung wunderbar unterhalten und verzaubern. Auf unseren Ausflügen durch Oberbayern blühte der Kleine jedes Mal auf.

Iryna verweigerte jedoch jede Art von Integration. Sie schirmte sich und Emil nach außen immer mehr ab. Das ging vermutlich auf ihre Kindheit in einem desolaten Familienumfeld zurück – was sie mir bis dahin verschwiegen hatte. In fast paranoider Weise verdächtigte sie alle und jeden, ihr das Kind wegnehmen zu wollen. Und selbst einfachste Vorsorgeuntersuchungen und Grundimpfungen für Emil lehnte sie ab.
Im Sommer 2013 reiste sie dann mit Emil nach Kiew, angeblich für einen sechswöchigen Urlaub bei ihrer Mutter. Sie hatte mein schriftliches Einverständnis, das Kind über einen befristeten Zeitraum mitzunehmen. Vor dem geplanten Rückreisetermin teilte sie mir mit, dass sie nicht mehr nach Deutschland zurückkehren werde. Das war zwei Wochen vor Emils erstem Geburtstag.

BF: Das war bestimmt ein großer Schock für Sie. Wie ging es dann weiter ?
AJ: In der Tat: Ich war erschüttert und verzweifelt. Ich spürte Irynas Fanatismus und Irrationalität, und mir wurde um den kleinen Emil angst und bange. Ihre Begründungen erschienen mir wirr und bizarr und ließen auf Paranoia schließen. Emils Wohl, so behauptete sie, sei in Deutschland bedroht, das Gesundheitssystem korrupt, das Land grundschlecht.
Die Verbindung zu meinem armen Jungen war komplett unterbrochen. Zweimal flog ich im Herbst 2013 nach Kiew, um einen friedlichen Ausgleich zu suchen. Aber Iryna und ihre stalinistisch geprägte Mutter verhielten sich hart und absolut kompromisslos. Das Kind gehöre ihnen, sagten sie. In der Ukraine gilt gegen alle Gesetze und Verfassung noch immer die sowjetische Familienideologie: Die Mutter darf allein über ihre Kinder bestimmen und verfügen. Das bedeutet: Kindeswohl ist Nebensache, und Väter sind rechtlos. Es wird früh geheiratet, und deshalb sind die Scheidungsraten enorm. Daraus entstehen mit staatlicher Duldung Zigtausende Fälle innerukrainischer Kindesentführung und -entziehung – also ein regelrechter Volkssport. Die Ukraine exportiert ihre kranke Kindesentführungspolitik quasi in die ganze Welt, indem sie Hunderte illegal verbrachter ausländischer Kinder auf ihrem Territorium einsperrt. Grundsätzlich wird kein entführtes Kind ins Ursprungsland zurückgegeben, denn die Entführer sind meistens die ukrainischen Mütter. Ob das im Frieden oder im Krieg oder unter schlechten psychosozialen Bedingungen passiert, macht für die Sowjetideologen im ukrainischen Staatsapparat keinen Unterschied. Europäische Kindesschutznormen und das völkerrechtlich bindende Haager Kindesentführungs-Übereinkommen (HKÜ) werden dabei eiskalt gebrochen [3]. Für mich als gebürtigen Berliner und erfahrenes Mauerkind ist diese Willkür sowjetischen Typs nichts grundsätzlich Neues. Aber daß sie sich so rücksichtslos an entführten, isolierten und gefährdeten Kindern aus dem Partner- und Geberland Deutschland austobt, entsetzt mich als Vater der Kinder immer wieder !
Emils äußere Lebensbedingungen sind durch die Entführung dramatisch verschlechtert. Die Landidylle in einer oberbayerischen Familiensiedlung musste er gegen einen tristen sozialistischen Wohnblock im Kiewer Industrieviertel Schuljawska tauschen, mit Verkehrslärm und Smog rund um die Uhr. Bei jeder unserer wenigen Begegnungen sah er dünn, blass und verharmt aus, und seine Fröhlichkeit war wie weggeblasen. Hinzu kam seine nicht altersgemäße körperliche Entwicklung.
Iryna hat keine Arbeit und somit kein geregeltes Einkommen. Sie bräuchte dringend eine Psychotherapie gegen ihre wahnhaften Zustände. Ihre Mutter ist Rentnerin und besitzt die gemeinsame Wohnung, in der sie und Iryna sich mit dem Kind regelrecht verschanzen. Ich fing dann an, monatliche Alimente für Emil zu überweisen.
BF: Wann haben Sie das letzte Mal etwas von Ihren Kindern gehört ? Wissen Sie, wo sie sich aufhalten ?
AJ: Zwischen Beginn der Entführung 2013 und Ausbruch des großen Krieges 2022 reiste ich 74 Mal unter Strapazen nach Kiew. Das Ziel war, um jeden Preis Kontakt mit Emil und dann auch mit dem nachgeborenen Elias zu halten. Ihre zweite Schwangerschaft aus der Zeit vor Emils Entführung hatte Iryna vor mir verheimlicht, und erst ein Jahr nach seiner Geburt erfuhr ich von seiner Existenz. Nur wenige Male bekam ich die Kinder zu Gesicht. Während unserer Begegnungen wurden sie von Mutter und Großmutter, diesen beiden geisteskranken Frauen, schwer terrorisiert. Es waren Überwachungs- und Zwangsverhältnisse wie bei Häftlingsbesuchen im Gefängnis. Trotzdem hatten die Kinder und ich warme und liebevolle Momente miteinander. Emil und Elias freuten sich jedes Mal über die Säcke voller Spielsachen, Kleider und Lebensmittel, die Papa wie ein Lastesel aus München antransportiert hatte. Sie räumten auch jedes Mal meinen Rucksack komplett aus, um für sie interessante Dinge zu finden. Herzrührend !
Wenn man die wenigen vorhandenen Kindheitsbilder von uns dreien zusammenlegt, erkennt man: Durch menschlichen Wahn und politische Machenschaften ist getrennt, was eng zusammengehört. Deshalb habe ich nicht den geringsten Zweifel: Wenn diese grausame Zwangstrennung endet, werden wir im Rekordtempo wieder fest zusammenwachsen.

Mit Hilfe der unsäglichen sowjetischen Verwaltungs- und Justizwillkür in der Ukraine konnte Iryna massive Kontaktbeschränkungen durchsetzen, um die Vater-Kind-Bindungen zu zerstören. An die geringen Auflagen, die ihr gemacht sind, hält sie sich nicht. Von amtlicher Seite hat sie nichts zu befürchten. So gab es Jahre völliger Trennung, und das sowjetbürokratische Regime machte mit institutioneller Gewalt alle meine Bemühungen um Zusammensein mit den Kindern und Mitwirkung an ihrer Erziehung zunichte. In der Ukraine sind das eingübte zynische Verhaltensmuster, die zum faktischen HKÜ-Boykott gehören. Die Bundesregierung – allen voran die links-grüne Führungsclique im Auswärtigen Amt – deckt diese Missbräuche und verneint ihre Schutzpflicht für deutsche Bürger.
Mit viel Mühe und Unterstützung ukrainischer Freunde und Bürgerrechtler gelang es mir 2020, Emil in einer Grundschule in Kiew aufzuspüren und für wenige Minuten zu Gesicht zu bekommen. Er wirkte verschüchtert und unterentwickelt, aber wenigstens konnte ich ihn in den Arm nehmen und ihm sagen: „Papa hat dich lieb !“ Dann verwies mich die sowjetisch geprägte Schulverwaltung des Hauses. Ich stellte bei der Polizei Anzeige wegen Verletzung grundlegender Elternrechte – und bekam von dort weder Antwort noch Hilfe.
Aus den letzten erhältlichen Schulberichten geht hervor: Emil hat erhebliche Lern- und Kontaktschwierigkeiten und braucht professionelle Unterstützung für seine Entwicklung. Das kann angesichts seiner langen Isolation nicht verwundern, und es macht mich unendlich traurig. Die Nachbarn von Iryna und ihrer Mutter berichten von dissozialem Verhalten der beiden Frauen – und davon, dass Emil und Elias fast nie auf der Straße oder beim Spielen mit anderen Kindern zu sehen sind. Mittlerweile sind sie aus der Schule genommen, was erst unter Corona- und dann unter Kriegsregime behördlich geduldet ist. Über ihren Verbleib kann oder will niemand Auskunft geben.
Die miesen Bonzen in Berlin und Kiew kümmert all das nicht. Vergeblich informiere ich sie regelmäßig über Emils und Elias‘ Lage und verlange behördliches Einschreiten gegen diese Art von Kindesmisshandlung. Von westlich gesonnenen Müttern, deren Kinder zur selben Schule gehen, bekam ich neuere Bilder von Emil zugespielt. Was sie über seinen körperlichen und seelischen Zustand aussagen, ist alarmierend.

BF: Was bedeutet der mörderische Ukraine-Krieg für Ihre Kinder ?
AJ: Der Krieg ist täglicher Horror für die Ukrainer – und für mich selbst auch. Von ukrainischen Freunden und Bekannten, einige davon in Armee und Territorialverteidigung, erfahre ich aus erster Hand, wie es in Kiew, Lemberg und Odessa zugeht. Bilder, Videos, Nachrichten von den Brennpunkten -all das erfüllt mich existentiell mit Sorge und Schmerz. Kriegszerstörung, Entvölkerung, Korruption, Verarmung und Verzweiflung schreiten voran, und die Energieversorgung im Winter ist bedrohter als je zuvor. Die Gesellschaft steht unter maximaler Anspannung, auch wenn nicht gerade Luftalarm herrscht und russische Drohnen und Raketen einschlagen. Traumata und Not wachsen, und es ist kein Ende dieses ganzen Irrsinns in Sicht.
In diesen Wintertagen mit ständigen Wellen russischer Luftangriffe auf Kiew und andere ukrainische Städte spitzt sich die Lage der Kinder wieder zu. Jeder, der die Wirkung militärischer Sprengstoffe in Angriffs- und Verteidigungswaffen kennt, kann erahnen, was für die Kleinen in immer schnellerer Folge vom Himmel kommt. Nichts und niemand ist sicher vor Zerstörung und Tod – von den psychischen Folgen ganz zu schweigen. Alarme, Luftabwehrfeuer, Explosionen, Druckwellen, Brände, stundenlanges Ausharren im Untergrund, medizinische Hilfseinsätze, nächtliche Ausgangssperren: Die Kinder bekommen all das voll mit – und sie können es noch weniger verarbeiten als Erwachsene …
BF: Wie erleben Sie die Weihnachts- und Neujahrszeit ohne Ihre Kinder ?
AJ: Es ist – wie auch an den Kindergeburtstagen und zu Ostern – ein einziges Elend ! Schon ohne diese Symboldaten, an denen Eltern es ihren geliebten Kindern ja möglichst schön machen wollen, zerreißen mich Gefühle und Gedanken zu Emil und Elias im Krieg innerlich jeden Tag. Die völlige Ungewißheit über ihren Verbleib und ihr Schicksal ist mir zum permanenten Trauma geworden. Ich kämpfe ständig mit Zuständen von Verzweiflung, Trauer, Ohnmacht und Wut.
Im Wohnzimmer ist jetzt wieder ein Weihnachtsbäumchen mit ihren Porträts und Geschenken aufgestellt. Heiligabend feiere ich in Gedanken mit ihnen, wenn ich nachts vom ehrenamtlichen Dienst beim Obdachlosenfest im Münchener „Hofbräuhaus“ heimkehre. Jahr für Jahr sind dies besondere Momente des Hoffens und Bangens geworden. Und ich frage mich: Wie lange noch, bis echte Hilfe und Erlösung kommen ?!

— Teil II des Interviews mit politischer und juristischer Fallbetrachtung
unter aktuellen Kriegsbedingungen folgt in Kürze. –
Alle Bildrechte: Anatol Jung, Titelbild: Emils Hinterlassenschaft im heimischen Kinderzimmer (Revision 1)
[1] https://brandenburgerfreiheit.de/der-haft-fall-billy-six-und-das-voelkerrecht-ein-urteil-im-namen-der-bundesregierung/
[2] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deutsche-bahn-whistleblower-missstaende-pofalla-.5680617?reduced=true
[3] https://www.bundesjustizamt.de/SharedDocs/Downloads/DE/HKUE/haager_uebereinkommen19Okt1996.pdf?__blob=publicationFile&v=2
Revision 1 vom 28.12.2024: Bildunterschriften ergänzt, neues Titelbild, Ergänzungen und textliche Korrekturen von Anatol Jung aufgrund des ersten Leser-Echos eingearbeitet (kursiv in den Antworten von AJ).
Revisoin 2 vom 30.12.2024: Doppelung im Text entfernt.