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Politiker müssen haften

Politiker müssen haften!“, fordert Stephanie Tsomakaeva. Mit diesem Slogan ist die Autorin nun schon seit einigen Jahren auf der Straße und gründete sogar eine Partei, die mit dieser Forderung für sich warb. Wer genau wofür haften soll, wie Politiker einer Haftung entgehen können und warum das alles eine Stärkung der Demokratie bedeutet, legt Tsomakeva in ihrem aktuellen Buch dar. Eine Rezension von Jan Müggenburg.

Es war der Absturz des Rubels 1998, der Tsomakaeva wirtschaftlich hart traf. Ihre Wut auf die Verantwortlichen saß so tief, dass sie sich schwor, Politikern nicht länger zu vertrauen und selbst politisch aktiv zu werden. Doch nach Stationen in der Gründungs-AfD, der LKR und beim BÜNDNIS21, einer Eigengründung, setzte Ernüchterung ein. Besonders desillusionierend war für die Autorin die Zeit im Bundesvorstand der LKR (2017-2018):

Die meisten verantwortungsvollen Menschen mit starken Überzeugungen halten es auf Dauer gar nicht in einer Partei aus. Jedenfalls nicht aktiv in Ämtern“ [1].

Ihr Abschied aus der Welt der Parteien war für Tsomakaeva aber kein Abschied von der Politik. Sie denkt politisch und publiziert dazu. Ihr aktuelles Buch „Politiker müssen haften“ erläutert die Idee der Politikerhaftung.

Geht es nach Tsomakeva sollen Politiker für Verstöße gegen Gesetze und Verordnungen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Gemeint sind alle Regierungsmitglieder auf Bundes- und Landesebene, alle leitenden Beamten in staatlichen Behörden sowie Bürgermeister, Land- und Stadträte auf der kommunalen Ebene. Bei Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht soll dies auch zivilrechtlich möglich sein. Wer will, kann sich dagegen über eine Berufshaftpflicht absichern oder seine Berater in Regress nehmen.

Auf der Seite des Strafrechts schlägt die Autorin vor, die Paragraphen 266c und 138a neu in das Strafgesetzbuch einzuführen. Mit dem §266c soll der Tatbestand der Haushaltsuntreue als Mittel gegen Steuerverschwendung erfasst werden. Mit dem §138a soll die Grundlage dafür geschaffen werden, Mitwisserschaft im Amt verfolgen zu können. Damit soll der aktuellen Nichtverfolgung von Straftaten durch mitwissende Amts- und Mandatsträger ein Riegel vorgeschoben werden.

Auf der zivilrechtlichen Seite fordert Tsomakaeva, dass gerichtlich festgestellte Schadensersatzansprüche gegen den Staat automatisch zu proportionalen Regressforderungen gegen verantwortliche Politiker und ihre Parteien führen. Die Schadensersatzansprüche werden zum Bundeshaushalt ins Verhältnis gesetzt. Die verantwortliche Partei erhält dann eine Forderung in Höhe des gleichen Anteils an Ihrem Parteihaushalt, so Tsomakaeva’s Vorstellung.

„Es geht aber nicht darum, dass einzelne Personen persönlich zur Kasse gebeten werden. Es geht um eine verantwortliche Politik, die nicht dem Vorteil weniger, sondern allen Bürgern dient. Deshalb ist es wichtig, dass Vertreter der Exekutive (Regierung und öffentliche Verwaltung) die Haftung abgeben können, indem sie das Parlament fragen.“ [1]

Doch auch das Parlament soll die Möglichkeit haben, sich der Verantwortung zu entziehen und Entscheidungen an die nächste Instanz – das Volk – zu delegieren. Tsomakeva setzt darauf, dass zivilrechtliche oder sogar strafrechtliche Folgen die Verantwortlichen dazu zwingen, mit Risiken transparent umzugehen. Ein offener und ehrlicher Diskurs würde die Debatten zu allen möglichen Themen zweifellos beleben. Ein Bewusstsein für mögliche Konsequenzen oder die letztinstanzliche Entscheidung durch die Bürger würde die Politikverdrossenheit merklich reduzieren, so das Kalkül der Autorin. Als Nebeneffekt erwartet die Autorin, dass viele Parteien ihre Wahllisten und Mandatsträger gründlich durchforsten werden, um schon im eigenen Interesse unqualifiziertes Personal auszusortieren.

Ein vollständiger Verzicht auf Parteispenden ist integraler Bestandteil des Konzepts. Heutige Unterstützer sollen Mitglieder werden und Beiträge zahlen. Darüber hinaus setzt Tsomakaeva zur Finanzierung von Parteien darauf, dass pro Wählerstimme ein fester Betrag gezahlt wird und zwar unabhängig von der Anzahl der Stimmen, die eine Partei erhält. Zweifellos würden in erster Linie kleinere Parteien davon profitieren.

Für die juristische Durchsetzung von Haftungsansprüchen gegen Parteien bzw. Politiker soll ein „Politikersondergericht“ geschaffen werden. Seine Richter können nur vom Volk selbst ins Amt berufen werden und ggf. auch von ihm wieder abgewählt werden. Ihre Berufung erfolgt auf Lebenszeit. Für frühere Vertreter in Parlamenten soll es eine Sperrfrist von mind. 1 Legislaturperiode geben.

Besonderen Raum gibt Tsomakaeva auch dem Veto-Recht. Der Bürger soll getroffene Entscheidungen im Sinne aufhebender Referenden wieder rückgängig machen können. Dies gilt sowohl für Gesetze als auch für Personalentscheidungen wie der Besetzung eines Ministerpostens. Hierzu soll das bestehende Petitionsverfahren ausgebaut werden.

Eine untergeordnete Rolle spielt bei Tsomakaeva das Initiativrecht des Volkes, also das wesentliche Element direkter Demokratie. Mit ihm würde es den Bürgern ermöglicht, selbst Gesetze zur Abstimmung zu stellen. Unklar bleibt, ob die Autorin diesem Instrument generell kritisch gegenüber steht. Immerhin enthält das Buch den Hinweis auf die Artikel 76, 77 und 82 im Grundgesetz, die einer Einführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene entgegenstehen.

Der Text ist relativ flüssig geschrieben und auf den 280 Seiten der Taschenbuchausgabe lesefreundlich abgedruckt. Einleitung und Schlussteil des Buches widmen sich verschiedenen gesellschaftskritischen Themen und fallen recht umfangreich aus. Für Leser, die gerade erst begonnen haben, sich mit kritischen Fragen unserer Zeit jenseits der Massenmedien zu informieren, schaffen diese beiden Teile einen umfassenden Überblick. Für Kenner der Materie bieten sie allerdings wenig Neues.

Der mittlere Teil widmet sich dem eigentlichen Thema des Buches und fällt mit etwa 70 Seiten relativ knapp aus. So verwundert es nicht, dass beim Nachdenken über das Gelesene eine ganze Reihe von Fragen unbeantwortet bleiben. Beispielsweise bleibt die Frage nach dem Umgang mit Fehlentscheidungen offen, die monetär gar nicht bewertbar sind beispielsweise zu ethischen Fragen wie dem Abtreibungsrecht oder einer Impfpflicht. Tsomakaeva lässt zudem mehrfach ihre Abneigung gegenüber dem Parteiensystem erkennen. Ihr Sanktionsmodell ist jedoch genau darauf zugeschnitten. Offen bleibt, wie die Autorin mit Fehlentscheidungen parteiloser Abgeordneter umgehen will.

Die Liste der Kritikpunkte ließe sich noch um einige weitere offene Fragen ergänzen. Letztlich muss man aber anerkennen, dass es Tsomakeva gelingt, die Forderung „Politiker müssen haften“ aus der Ecke des plakativen Populismus‘ heraus zu holen und sie auf ein seriöses Fundament zu setzen.

In Zeiten, in denen es eine Vielzahl messerscharfer Bestandsanalysen aber nur wenige Vorschläge über Auswege aus der gesellschaftlichen Krise gibt, ist Tsomakaeva’s Buch ein wichtiger Debattenbeitrag und erhält deshalb eine klare Leseempfehlung.

[1] Tsomakaeva, Stephanie: Politiker müssen haften. Herausgegeben von Stephanie Tsomakaeva, Druck und Distribution: tredition GmbH, Ahrensburg. ISBN 978-3-347-92631-8, Softcover. 280 Seiten.