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Artikel 20 Grundgesetz – Das kann weg!

Das Zerren um die Artikel-20-Stele von Ralph Boes fand Anfang Februar im Verwaltungsgericht Berlin-Tiergarten einen neuen Höhepunkt. Über die Verhandlung, ihre Vorgeschichte und ihren Ausgang berichtet Gabi Schade für die Leser der BF.

Getreu nach diesem Motto fand am 1.Februar 2024 am Verwaltungsgericht in Berlin-Tiergarten eine sehr bemerkenswerte Verhandlung statt. Es wurde gegen die Vernichtung eines Kunstwerkes in Form einer Buchenholzstele geklagt, welche das Land Berlin angeordnet hatte. Diese trägt als Inschrift den Artikel 20 des Grundgesetzes :

  1. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
  2. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
  3. Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
  4. Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Die Idee für dieses Kunstprojekt hatte der „Verein zur Erneuerung der Bundesrepublik an Ihren eigenen Idealen e.V.“ [1]. Er gründete sich im Jahr 2014 aus Bürgern, die sich aufgrund immer rasanterer Entwicklungen in der Politik, in der die demokratischen Rechte der Menschen und Völker immer weiter ausgehebelt werden, veranlasst sahen, den Geist des Grundgesetzes wieder in das Bewusstsein zu rufen. Das Ziel des Vereins ist, über eine Volksabstimmung das Grundgesetz zu einer Verfassung zu erheben und das Recht auf Volksabstimmungen in die Verfassung mit aufzunehmen [2]. Mit Veranstaltungen und Aktionen in der Öffentlichkeit möchte man darauf aufmerksam machen. So konnte man in der Zeit vom 23.5.2018 bis Mai 2019 an bestimmten Tagen am Rosa-Luxemburg-Platz vor der „Volksbühne“ an der Buchenholzstele den Artikel 20 einschnitzen. Jeder war dazu eingeladen. Zum Schluß wurden die Buchstaben noch mit Blattgold veredelt. Die fertige Stele sollte das Kunstwerk „Grundgesetz 49“ von Dani Karavan komplettieren. Dieses steht am Jakob-Kaiser-Haus am Reichtagsufer in der Nähe des Deutsches Bundestages und besteht aus 19 Glasplatten, in denen die Artikel 1 bis 19 des Grundgesetzes verewigt sind. Anlässlich des 70. Geburtstages des Grundgesetzes sollte die Buchenholzstele ihren Platz dort einnehmen. Für den Vorsitzenden des Vereins Ralph Boes sind die ersten 19 Artikel nur die Menschenrechte = Grundrechte. Erst der Artikel 20 würde diese in die Staatsstruktur erheben und daraus das Grundgesetz machen.

Am Samstag, den 18. Mai 2019, fünf Tage vor dem Jahrestag wurde die Stele ohne Genehmigung neben dem Kunstwerk von Dani Karavan aufgestellt. Dieser Sachverhalt wurde von der Polizei festgestellt und die Feuerwehr benachrichtigt, um die ca. 350kg schwere Stele entfernen zu lassen. Die Feuerwehr weigerte sich jedoch, da keine Gefahr von der Stele ausging. Der Verein wollte sie ein paar Tage dort stehenlassen. Am nächsten Morgen war sie jedoch verschwunden. Die Polizei hatte sie in der Nacht entfernen lassen. Nach drei Tagen erhielt Ralph Boes die Stele wieder zurück. Allerdings musste er eine Erklärung unterschreiben, das er sie künftig nicht mehr ohne Genehmigung aufstellen würde.

Buchenholzstele 18.Mai 2019
03. Oktober 2019
18. Mai 2019

Am 3.Oktober 2019, dem Tag der Deutschen Einheit, wurde die Stele am gleichen Platz wieder aufgestellt. Diesmal allerdings mit Anmeldung bei der Versammlungsbehörde. Das Grünflächenamt befürchtete jedoch, dass Grünflächen zerstört werden und die Durchfahrt für Krankenwagen behindert werden könnte und lehnte daher den Antrag für die Aufstellung ab. Der Verein argumentierte dagegen, dass es sich um eine gepflasterte Straße handeln würde und die Durchfahrt aufgrund der Breite von ca. 12 Metern ausreichend sei. Es würden lediglich ca. zwei Meter des vier Meter breiten Bürgersteiges benötigt werden. Im Übrigen sei die Stele durch den Artikel 5 Absatz 3 GG geschützt. Dieser besagt: „Kunst und Wissenschaft , Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“

In der Nacht versuchte die Polizei dann wieder die Stele zu entfernen. Damit wurde natürlich seitens des Vereins gerechnet. Einige Unterstützer hatten sich versteckt und Ralph Boes stellte sich dann mit einem Hirtenstab vor die Stele. Sie wurde mit Scheinwerfern beleuchtet und das Szenario wurde gefilmt. Der Polizei war das wohl zu viel Aufmerksamkeit und sie zog von dannen. Zwölf Tage und Nächte lang bewachte Ralph Boes dann die Stele. Unter freiem Himmel und ohne Dach über dem Kopf. Denn Zelten ist im öffentlichen Raum nicht gestattet. Als er dann nach zwölf Tagen für ein paar Stunden den Platz verließ, wurde die Stele entfernt.

Artikel 20 GG Absatz 2
Ralph Boes schlafend vor der Stele nach dem 3.Oktober 2019

Ende Oktober 2020, ein Jahr später, erhielt er ein Schreiben, in dem die Vernichtung der Stele angeordnet wurde. Als Begründung wurde angegeben, dass weitere Unternehmungen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigen könnten, nicht auszuschließen seien. In der Zwischenzeit war von einem Mitglied des Vereins eine Vermisstenanzeige für die Stele aufgegeben worden. Das verlief im Sande und bis zum Eintreffen des Schreibens vom 26.10.2020 wusste niemand, wo sie sich befand. Seitens des Vereins wurde dann Akteneinsicht genommen und festgestellt, dass das Konfiszierungsprotokoll nicht unterschrieben war. Im Februar wurde dann eine Stellungsnahme von Ralph Boes abgegeben. Dem folgte am 11.März 2021 eine erneute Anordnung zur Vernichtung der Stele mit der Begründung, dass der Verein nicht Willens sei, sich an geltende Gesetze zu halten. Es wurde Widerspruch eingelegt. Dieser wurde vom Land Berlin abgelehnt. Am 4.Juni 2021 hat Ralph Boes dann die Klage mit der Begründung, dass die Stele aufgrund der Kunstfreiheit rechtmäßig aufgestellt wurde, eingereicht.

Die Verhandlung am 1.Februar 2024 vor dem Berliner Verwaltungsgericht wurde von einer Einzelrichterin geführt. Ralph Boes und Stefanie Burk aus dem Vorstand des Vereins hatten einen Rechtsbeistand zur Unterstützung dabei. Das Land Berlin wurde durch eine Beamtin vertreten. Die Zuschauerplätze waren alle besetzt.

Nachdem der gesamte Sachverhalt von der Richterin vorgetragen wurde, kam Ralph Boes zu Wort. Er führte aus, dass dieser Sachverhalt angefangen von der Anfertigung der Stele bis hin zu dem jetzigen Gerichtstermin, sozusagen das Gesamtkunstwerk sei. Denn all das spiegele den Zustand des Staates und den Umgang mit dem Grundgesetz wider. Zitat:

„Denn es ist schon richtig, dass hier ein Kunstwerk im Rahmen des Gerichtes verhandelt wird. In Wirklichkeit aber findet eine Gerichtsverhandlung im Rahmen eines Kunstwerkes statt.“ – Ralph Boes.

Die Richterin und die Vertreterin des Landes Berlin trafen mit ihrer verwaltungsrechtlichen, sachlichen Sichtweise auf die künstlerische Sicht von Ralph Boes. Er präsentierte diese sehr wortgewandt und euphorisch. Die ihm freundlich zugewandte Richterin erklärte, dass sie ausschließlich darüber zu befinden habe, ob die Vernichtung rechtens sei. Ob die Holzstele eine Berechtigung habe oder notwendig sei, liege nicht in ihrem Ermessen.

Herr Boes wies daraufhin, dass er bereits schriftlich in seiner Stellungsnahme versichert hätte, dass er die Stele nicht noch einmal im öffentlich Raum aufstellen würde. Es gibt von seiner Seite das Angebot, dass die Stele im Bundestag zusammen mit einer Stele aus Kirschholz mit dem Artikel 1 in Platin aufgestellt werden soll.

Der Verlauf der Verhandlung lässt dann zu, dass sich beide Seiten auf einen Vergleich hinbewegen. Es gibt einige Unterbrechungen. Die Klägerseite stellt Bedingungen; aber die gegnerische Seite hat Kompromissgrenzen. Es kommt die Frage auf, wo sich die Stele überhaupt befinde und in welchem Zustand sie sei ? Die Landesbeamtin klärt dieses telefonisch ab und lässt Fotos übermitteln. Die Stele wird im Polizeiabschnitt 28 in der Nähe des Bundeskanzleramtes unter einem Vordach gelagert. Der Kläger befindet, dass man die Schäden des Transportes und der Witterung beheben könne.

Doch dann nach gut drei Stunden Verhandlung kommt es zu einer plötzlichen Wende: Ralph Boes erklärt, dass er keinen Vergleich möchte. Die sich abzeichnenden Kompromisse möchte er nicht machen. Das widerspräche der Kunstfreiheit, die keinen Grenzen unterworfen sei. Die zahlreichen Zuschauer im Raum sind gespaltener Meinung. Die einen halten einen Vergleich für sinnvoll, um das Kunstwerk zu erhalten. Die anderen teilen die Auffassung von Herrn Boes. Dieser bekräftigt nochmals seine Aussage zur Richterin mit folgendem Satz: „Ich lege die Entscheidung zur Vernichtung der Stele in ihre Hände“ Die Richterin ist sichtlich fassungslos. Hat sie doch mit dem Vergleich versucht, dass Kunstwerk zu erhalten. Sie weist nochmal auf die Rechtsgrundlage und den Erkenntnisstand hin, nach denen sie entscheiden muss. Doch es bleibt dabei. Sie teilt nur noch kurz mit, dass das Urteil schriftlich zugestellt wird und schließt dann die Verhandlung.

Zwei Wochen später wird das Urteil dann zugestellt. Die Klage wurde abgelehnt und der Kläger hat alle Kosten des Verfahrens zu tragen. Begründet wird das Urteil mit §40 Absatz 4 Satz 1 Nr. 1 ASOG [3]:

Die Verwertung einer sichergestellten Sache ist zulässig, wenn sie nach einer Frist von einem Jahr nicht an einen Berechtigten herausgegeben werden kann, ohne dass die Voraussetzungen der Sicherstellung erneut eintreten würden.

Ralph Boes hat bekannt gegeben, dass er in die nächste Instanz gehen wird, sofern das nötige Geld über Spenden zusammenkommt.

Seit Mai 2020 geht das Projekt Artikel 20 GG in Form des Schnitzens einer Stele aus Eichenholz weiter. Eiche steht als Element des Kampfes, der Auseinandersetzung und der Verteidigung einer Idee. Die Buche hingegen steht für das Element der Weisheit und des auf den Bodenbringens einer Idee. Die Eichenstele befand sich am Tag der Gerichtsverhandlung vor dem Gerichtsgebäude und konnte weiter mit dem Artikel 20 GG beschnitzt werden.

Die Brandenburger Freiheit wird Sie über das weitere Schicksal der Buchenholzstele auf dem Laufenden halten.

[1] https://deine-verfassung.de/-Lu-Wer-wir-sind.htm
[2] https://unsere-verfassung.de/index.htm
[3] https://www.gesetze.berlin.de/bsbe/document/jlr-ASOGBE2006rahmen/part/X

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Ralph Boes.