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Notunterkunft statt Sport – wie geht es weiter mit der Sporthalle in Zehdenick?

Bürgerinitiative wehrt sich gegen Zweckentfremdung der Sporthalle. Pfarrer lädt zum Runden Tisch. Politisches Establishment reagiert unsicher und pikiert über bürgerliche Eigeninitiative. Ist der Kompromissvorschlag eines Zehdenicker Kreistagsabgeordneten am Ende keine Alternative sondern eine zusätzliche Option für weitere Flüchtlinge? Brandenburgs Innenminister verschafft den Kommunen Luft und fordert gleichzeitig „eine deutliche Reduzierung des Migrationsgeschehens“.

Was ist passiert?
Am 03.07.23 informierte der Landkreis Oberhavel die Öffentlichkeit darüber, dass die Sporthalle im Wesendorfer Weg in Zehdenick als Notunterkunft für Flüchtlinge genutzt wird [1]. Zuvor hatte der Landkreis erklärt, Sporthallen nur dann auf diese Weise zu nutzen, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt [2].

In der Folge gründete sich die Bürgerinitiative „Zehdenick bleibt offen“. Sie verfolgt das Ziel, die Halle für den Schul- und Breitensport zu erhalten. Am 13.07.2023 lud die Initiative zum Bürgerdialog auf dem Gelände der ehemaligen Havelland-Grundschule in Zehdenick. Eingeladen waren nicht nur die Bürger sondern auch Landrat Tönnies, Sozial-Dezernent Kahl, und der Kreistagsvorsitzende Dr. Krüger.

Die Überraschungen
Zunächst überraschte, dass die Veranstaltung nicht von Vertretern der Bürgerinitiative moderiert wurde. Diese Rolle übernahm Andreas Domke, der Pfarrer der örtlichen Kirchengemeinde. Domke erfüllte diese Aufgabe gut. Gegen Ende empfahl er einen Runden Tisch ins Leben zu rufen, mit dem die Gespräche fortgesetzt werden sollten. Offen blieb, wer daran teilnehmen soll.

Etwas überraschend war die Teilnahme der Bundestagsabgeordneten Ariane Fäscher sowie der grünen Landtagsabgeordneten Carla Kniestedt. Allerdings äußerten sich beide während der Veranstaltung nicht.

Keine Überraschung war hingegen, dass Landrat, Sozial-Dezernent und Kreistagsvorsitzender nicht erschienen. Wer sich eine Weile mit den Gepflogenheiten in der Kommunalpolitik befasst hat, weiß, dass diese politische Ebene misstrauisch wird, wenn Bürger Eigeninitiative jenseits der gesetzten Leitplanken entwickeln.

Ein echter Coup gelang dem grünen SVV-Mitglied Reiner Merker, der zugleich auch Abgeordneter im Kreistag ist. Er berichtete von einer Vereinbarung zwischen dem Landkreis und ihm. Nach Merkers Modell sollen die Flüchtlinge die Sporthalle nur vorübergehend belegen. Er stellte in Aussicht, dass die Halle bis zum Ende der Sommerferien wieder frei sei. Die Anwesenden reagierten darauf mehrheitlich mit großer Skepsis.

Wie reagierte Oberhavels Establishment?
Natürlich waren die Ereignisse in Zehdenick auch Thema bei der Kreistagssitzung am 19.07.23. Landrat Tönnies gab an, er habe aus den sozialen Netzwerken von der Veranstaltung erfahren aber keine Einladung erhalten. Tönnies führte andere Termine als Grund für seine Nicht-Teilnahme an und bemerkte, dass der von der BI festgelegte Termin nicht mit ihm abgestimmt war.

Nicht bestätigen wollte Tönnies die Teilnahme am Runden Tisch. Hierzu machte der Landrat formale Gründe geltend. Tönnies monierte, dass die Einladung dazu ohne Zustimmung des Gemeindekirchenrates auf Papier mit dem Briefkopf dieses Gremiums verfasst wurde.

Der Kreistagsvorsitzende Dr. Krüger bestätigte den Erhalt einer Einladung, äußerte jedoch zugleich seine Verärgerung über den darin angeschlagenen Ton. Krüger im Kreistag:

Wenn man solch eine Veranstaltung macht, dann bemüht man sich vorher um eine Terminabstimmung und da glaubt man nicht, die Leute zitieren zu können.“ [3]

Sozial-Dezernent Kahl bestätigte, dass er mit dem Kreistagsabgeordneten Merker 2x zu diesem Thema telefonierte. Die Vereinbarung sieht vor, dass die Stadt Zehdenick dem Verein Großraum e.V. die Nutzung der ehemaligen Havelland-Grundschule im Rahmen eines Erbbaurechtsvertrags ermöglicht. Großraum e.V. soll in einem zweiten Schritt einen Nutzungsvertrag mit dem Landkreis abschließen, der es dem Landkreis ermöglicht, dort Flüchtlinge unterzubringen.

Ob sich dieses Modell bis zum Ende der Sommerferien umsetzen lässt steht in den Sternen. Die Skepsis der Zehdenicker gegenüber Merkers Versprechungen dürfte berechtigt sein. Wirft man einen Blick auf die tatsächlichen Kapazitäten des Landkreises im Vergleich zu den angekündigten Aufnahmezahlen sollte sich niemand wundern, wenn im Laufe des kommenden Schuljahres Flüchtlinge in die Sporthalle im Wesendorfer Weg und zusätzlich in das Gebäude der ehemaligen Havelland-Grundschule einziehen.

Unterdessen verschafft die Landesregierung den Kommunen ein wenig Luft [4]. Ende Juni teilte sie per Pressemitteilung mit, die Verteilpraxis von Flüchtlingen umzustellen. Personen, die keine konkrete Aussicht auf einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel haben, werden nicht mehr an die Kommunen weitergeleitet. Stattdessen verbleiben sie zukünftig in der Zuständigkeit der Zentralen Ausländerbehörde und werden an den Standorten der Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht und versorgt [4].

Innenminister Michael Stübgen:

„Für die Kommunen bedeutet das alleine in 2023, dass bis zu 4.000 Personen weniger, als ursprünglich geplant, versorgt und betreut werden müssen.“ [4]

Zum Vergleich: Anfang des Jahres wurden die Kommunen über ein Aufnahmesoll von 25.753 Menschen in diesem Jahr informiert. In 2022 nahmen Brandenburgs Kommunen 38.941 Geflüchtete auf [5]. Gleichzeitig dämpft Stübgen aber auch die Erwartungen:

„Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Extrembelastung für die Kommunen durch die Landesregierung alleine nicht behoben werden kann. Erfahrungsgemäß muss mit einer Erhöhung der Zugangszahlen in den kommenden Sommermonaten gerechnet werden. Eine deutliche Reduzierung des Migrationsgeschehens bleibt daher zwingend erforderlich, wenn wir mit unseren Integrationsbemühungen nicht scheitern wollen.“ [4]

Wie das Migrationsgeschehen zu reduzieren sei, verriet der Innenminister allerdings nicht.

[1] PM des Landkreises Oberhavel vom 03.07.23, „Landkreis Oberhavel bereitet Notunterkunft für Geflüchtete in Zehdenick vor“, https://www.oberhavel.de/Quicknavigation/Startseite/Landkreis-Oberhavel-bereitet-Notunterkunft-f%C3%BCr-Gefl%C3%BCchtete-in-Zehdenick-vor.php?object=tx,2244.1&ModID=7&FID=2244.90090.1
[2] Pressemitteilung des Landkreises Oberhavel „Nach Flucht vor Krieg und Gewalt: Sicherer Platz für 200 Menschen“ vom 31.03.23, abgerufen am 30.04.2023 unter https://www.oberhavel.de/Politik-und-Verwaltung/Verwaltungsstruktur/B%C3%BCro-des-Landrates/Presse-und-%C3%96ffentlichkeitsarbeit/Pressemitteilungen/
[3] https://embed.contentflow.net/output/9NkkBXVLqvTvDwLghEkp
[4] https://mik.brandenburg.de/mik/de/start/service/presse/pressemitteilungen/detail-pm-und-meldungen/~30-06-2023-brandenburg-stellt-verteilpraxis-von-fluechtlingen-um
[5] https://msgiv.brandenburg.de/msgiv/de/presse/pressemitteilungen/detail/~17-01-2023-aufnahmesoll-2023

Fotos: Jan Müggenburg