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Quo vadis, EU?

Die Europa-Union Deutschland tritt für einen Europäischen Bundesstaat ein. In einem schriftlich geführten Interview stellt sich die Vorsitzende des Landesverbandes Brandenburg, Dr. Mechthild Baumann, grundlegenden Fragen zu diesem Vorhaben.

BF: Laut Satzung setzt sich die Europa-Union Brandenburg für die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa ein. Warum ist eine staatliche Einheit unter Europas Völkern besser als ein Bündnis zwischen Nationalstaaten mit vertraglich klar festgelegten Kooperationen?

Dr. Baumann: Haben Sie vielen Dank für Ihr Interesse an unserem Verein!

Die Idee zu den Vereinigten Staaten von Europa hatte ausgerechnet der Brite Winston Churchill. Nach den beiden Weltkriegen sah er in einer möglichst tiefen Integration der europäischen Nationalstaaten, die beste Garantie auf Frieden. Damit hatte er genau Recht.

Schauen wir zurück in die Geschichte, dann sehen wir, dass es Nationalstaaten im heutigen Sinne erst seit dem 18. Jahrhundert in Europa gibt, in Deutschland sogar erst seit 1871. Aber allein in den ersten 70 Jahren seiner Existenz, hat Deutschland in zwei großen Weltkriegen gegen seine europäischen Nachbarn gekämpft, mit verheerenden Folgen und Millionen Opfern.

Wie sieht die Bilanz nach 70 Jahren Europäischer Gemeinschaft/ Europäischer Union aus? Kein Krieg unter den Mitgliedern! Nie zuvor in der europäischen Geschichte gab es eine so lange Friedensphase, die sich auf so viele Staaten erstreckte. Das ist einmalig. Die Geschichte zeigt also: Je tiefer die Integration und Verflechtung der Staaten und Systeme, umso stabiler ist die Gemeinschaft.

Von den Vereinigten Staaten von Europa sind wir leider noch weit entfernt, auch wenn die EU sich inzwischen als ein Staatenverbund entwickelt hat. Umso wichtiger, dass wir Europäerinnen und Europäer uns kontinuierlich für unsere gemeinsamen Werte einsetzen.

BF: Welche Entscheidungsbefugnisse sollten Ihrer Auffassung nach auf der Ebene eines europäischen Bundesstaates angesiedelt sein und inwieweit verträgt sich diese Aufteilung mit dem Prinzip der Subsidiarität, wonach Regulierungskompetenz auf möglichst niedriger Entscheidungsebene angesiedelt sein soll?

Dr. Baumann: Die Subsidiarität ist ein wichtiges Strukturprinzip, das sowohl EU als auch Bundesrepublik anwenden. Es fördert das eigenverantwortliche Handeln der Bürgerinnen und Bürger und sieht vor, dass der Staat nur unterstützend eingreifen soll. Diese Logik überträgt sich auch auf die Verwaltungsebenen: Wenn möglich, ist die tiefste Ebene zuständig (z.B. Kommunen). Nur wenn hier die Leistungen nicht erbracht werden können, greift die nächsthöhere Ebene ein (z.B. Land oder Bund). Da die EU qua Recht über ihren Mitgliedstaaten steht, wird dieses Prinzip konsequenterweise auch auf die EU angewendet. Gäbe es einen europäischen Bundesstaat, würden dort Entscheidungen getroffen, die Auswirkungen auf den gesamten Bundesstaat und damit zugleich einen europäischen Mehrwert haben. Aufgaben, die besser auf den tieferen Ebenen angegangen werden können, würden auch weiterhin dort entschieden werden.

BF: Im Düsseldorfer Programm, das auch fester Bestandteil der Satzung des Brandenburger Landesverbandes ist, wirbt die Europa-Union für einen europäischen Bundesstaat „auf der Grundlage einer Verfassung, die möglichst durch ein europaweit einheitliches Referendum bestätigt werden sollte“. Die Formulierung berücksichtigt also auch andere Möglichkeiten der Bestätigung einer Verfassung. Welche Möglichkeiten sind das und mit welcher Akzeptanz in der Bevölkerung kann eine europäische Verfassung rechnen, die nicht durch ein Plebiszit zustande kommt?

Dr. Baumann: Die Europa-Union ist eine überparteiliche Bürgerorganisation. Wir setzen uns für ein Europa der Bürger ein. Das beinhaltet möglichst viel Bürgerbeteiligung. Wir alle sind Europa!

Die EU hat bereits einmal versucht, sich eine europäische Verfassung zu geben. Das war in 2003. Anschließend sollte diese durch die Mitgliedstaaten ratifiziert werden, in einigen durch die Parlamente, in anderen durch Volksabstimmungen, je nach nationalem Recht. Weder ist es gelungen, eine Verfassung zu verabschieden, noch diese zu ratifizieren. Es waren nationalstaatliche Bedenken, die aus der Verfassung einen „Verfassungsvertrag“ machten.

Anschließend haben die Wahlbevölkerungen in Frankreich und den Niederlanden in zwei Referenden diesem Vertrag mit relativ knapper Mehrheit die Zustimmung verweigert. Die Interpretation für die Gründe dieser Absage ist zwiegespalten: Europakritiker sehen darin eine Ablehnung der EU. Europabefürworter sind der Auffassung, die Wählerinnen und Wähler wollten ihren nationalen Regierungen einen „Denkzettel“ verpassen, zumal auch nationale Probleme die Abstimmung inhaltlich mitbestimmten. Als Europa-Union waren wir von diesem Ergebnis sehr betroffen. Wir Europäer haben damals eine historische Chance verpasst.

BF: Das Düsseldorfer Programm plädiert außerdem für einen europäischen Bundesstaat auf der Grundlage einer repräsentativen Demokratie mit Möglichkeiten der direkten Bürgerbeteiligung. Wie sinnvoll sind Repräsentationsmodelle, in denen die Zahl der Repräsentierten je gewählten Parlamentarier oder Vertreter immer größer wird? Welche „Möglichkeiten der direkten Bürgerbeteiligung“ sollte es in diesem Bundesstaat geben?

Anmerkung d. Red.: Während ein Bundestagsabgeordneter im Durchschnitt noch etwa 113.000 Bürger repräsentiert, kommen auf einen EU-Parlamentarier bereits 638.000 Bürger.

Dr. Baumann: Stellen Sie sich vor, wir würden über alle Fragen, über alle Gesetzesinitiativen direkt abstimmen. In 2021 hat nur allein der Bundestag 203 Gesetze verabschiedet. Im selben Jahr hat die EU über 300 Rechtsakte angenommen. Dazu kommen dann noch die Regelungen, die die Landtage und Kommunen beschließen. Würde man das übers Jahr verteilen, müssten wir Bürger jeden Tag mind. 2 Gesetze beschließen. Aber dazu müssten wir uns erst einmal in die Materie einarbeiten, sonst wissen wir gar nicht worum es geht und wie wir uns positionieren. Aus diesem Grund wählen wir im Rahmen unserer repräsentativen Demokratie Vertreter, die in unserem Namen die Gesetze beschließen. Nur so bleibt ein komplexes politisches System handlungsfähig.

Handlungsfähigkeit ist auch das Kriterium für die Größe des Europäischen Parlaments (EP), das derzeit 705 Abgeordnete hat. Deutschland vereinigt als bevölkerungsstärkstes Mitgliedsland die meisten EP-Mitglieder auf sich. Noch mehr Abgeordnete zu entsenden, würde die Entscheidungsfindung erschweren. Vielleicht haben Sie es auch schon erlebt: Je größer eine Gruppe, umso schwieriger ist es, sich zu einigen. Aber es stimmt, für Brandenburg sitzen derzeit 5 Abgeordnete im EU-Parlament. Von ihnen wird viel abverlangt, wenn sie ihre Arbeit in Brüssel gut machen und ebenso in unserem Flächenstaat präsent sein sollen.

Auch aus diesem Grund halten wir zivilgesellschaftliche Initiativen und Organisationen wie die Europa-Union für unverzichtbar. Wir bringen Bürgerinnen und Bürger, die sich für Europa interessieren, zusammen. Wir laden Politiker zu öffentlichen Diskussionsveranstaltungen mit Bürgerinnen und Bürgern ein und setzen uns für einen konstruktiven Austausch zu allem ein, was die EU betrifft.

In diesem Zusammenhang danke ich Ihnen sehr für Ihr Interesse an unserem Verein und die Gelegenheit, unsere Gründe für Europa mit Ihnen und Ihrer Leserschaft teilen zu dürfen.