Warum die Lesung mit Alexander Teske („inside Tagesschau“) nicht in Hohen Neuendorf stattfindet und wie die Stadt mit einem eng gefassten Kultur-Begriff die Rechtsstaatlichkeit über Bord wirft. Kommentar.
Seit mehr als 3 Jahrzehnten ist Alexander Teske Journalist mit Leib und Seele. In seiner Vita dominiert die Zeit beim MDR. Er kennt den ÖRR in- und auswendig. Zuletzt war er 6 Jahre lang als Planer für die Tagesschau tätig. Seine Erlebnisse dort schufen mit der Zeit eine innere Distanz zum ÖRR im Allgemeinen und zur Tagesschau im Besonderen. Diese Erfahrungen und seine Analyse schildert er in seinem aktuellen Buch „inside Tagesschau“ [1], [2].
Für seine Kritik wird Teske selbst kritisiert. Den Einen gilt er als Nestbeschmutzer, den Anderen ist er nicht radikal genug. „Genau das Richtige für Hohen Neuendorf!“, dachte ich. Die Hohen Neuendorfer Stadtgesellschaft hatte in der Vergangenheit durchaus bewiesen, dass sie mit solchen Kontroversen gut umgehen kann. Nach zahlreichen Veranstaltungen, die ich für die Bürgerinitiative Oberhavel-Steht-Auf organisiert habe, war ich mir da ganz sicher.
Doch der Wind wird für Akteure der Aufklärungsbewegung zunehmend rauer. Meinen Antrag zur Anmietung des Hohen Neuendorfer Rathaussaales für die Durchführung der Lesung lehnte die Stadtverwaltung am 21.03.2025 ab.
Zur Begründung verweist die Stadtverwaltung auf die Benutzungs- und Entgeltordnung der Stadt [3]. Demnach sei die beantragte Veranstaltung keine ‚Kulturveranstaltung‘ im Sinne dieser Satzung. Der Kulturbegriff sei darin ‚erkennbar‚ auf den Unterhaltungszweck reduziert. Gemeint sei Kultur im Sinne der schönen Künste (Bildende Kunst, Musik, Literatur). Im Bereich der Literatur lehnt sich die Stadtverwaltung an die Förderpolitik der Bundesregierung an – Belletristik, Lyrik, Graphic Novels und Dramatik, wozu Teskes Sachbuch nicht gehört.
Die obige Stellungnahme der Stadt, die hier als Essenz eines sich über mehrere Zyklen hinziehenden Schriftwechsels dargelegt ist, wirft doch einige Fragen auf.
(1) Die von der Stadtverwaltung vertretene, enge Interpretation des Kulturbegriffes ist mitnichten in der Benutzungsordnung [3] erklärt. Das Wort ‚Kultur‚ taucht dort überhaupt nur 2 mal im Begriff ‚Kulturveranstaltungen‚ auf.
(2) Mit der Vergabe des Raumes an die Märkische Allgemeine Zeitung für die Durchführung des MAZ-Wahlforums am 01.11.23 im Ratssaal [4] widerspricht die Stadtverwaltung den eigenen Vergabeprinzipien.
(3) Im Bereich Literatur verknüpft die Stadtverwaltung die Nutzung eines kommunalen Raumes mit der Förderpolitik der Bundesregierung. Eine ungewöhnliche Konstruktion. Schließlich kann sich die Ausrichtung der Kultur-Politik des Bundes auch mal ändern und das nicht nur bei einem Wechsel der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag. Wollen die Hohen Neuendorferinnen und Hohen Neuendorfer das und sind sie sich dessen überhaupt bewusst?
Werfen wir einen Blick auf den Kultur-Begriff. Tatsache ist, der Begriff hat viele Facetten und eine lange Entwicklungsgeschichte. Einen Überblick darüber verschaffen die Beiträge der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) [5], [6].
Mit Ursprüngen im Bereich der Landwirtschaft hat der Begriff mit der Zeit immer mehr Lebensbereiche erfasst und wird heute sogar verwendet um kollektive Lebensformen zu beschreiben. Als Fazit formuliert die BPB:
Kultur ist alles, was der Mensch geschaffen hat. [6]

Über die Frage, ob sich eine Kommune bei der Interpretation des Kultur-Begriffes dem aktuellen Stand der Sozialwissenschaften anschließen muss, ließe sich vielleicht noch streiten. Einigkeit sollte jedoch darüber bestehen, dass einmal gesetzte Maßstäbe für alle Veranstalter in gleicher Weise gelten und angewandt werden sollten.
Dies ist ganz offensichtlich nicht der Fall, wie die Vergabe des gleichen Raumes an die Märkische Allgemeine Zeitung für die Durchführung des MAZ-Wahlforums deutlich zeigt [4]. Denn selbstverständlich ist der Inhalt einer Wahlkampfveranstaltung als hoch-politisch und nicht als Kultur im Sinne der ‚schönen Künste‚ anzusehen.
Die Stadtverwaltung verstößt in diesem Punkt gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und damit gegen ein ganz wesentliches Rechtsstaatsprinzip. Politische Motive für die Absage an die Grundrechts- und Friedensinitiative drängen sich förmlich auf, zumal auch andere Akteure der (ernstzunehmenden) Opposition wie die AfD Hohen Neuendorf über ähnliche Probleme klagen.
Zwar ist Hohen Neuendorf politisch fest in der Hand des herrschenden Parteienkartells – fester als in anderen Teilen Brandenburgs. Doch auch hier wuchs der Anteil der außerhalb dieses Machtkartells agierenden Kräfte kontinuierlich. Je nachdem ob man das BSW noch dazu zählt, betrug er bei den letzten Bundestagswahlen knapp 22% bzw. gut 30%.
Damit wächst für Bürgermeister Apelt und seine CDU ein politisches Problem für die z.T. recht kostspieligen Bauvorhaben der Stadt. Denn die übliche Distanzierungspraxis endet, wenn es darum geht, die Bürger an den Kosten zu beteiligen. Dann sollen natürlich alle zahlen.
Rund 14,2 Mio. € kostete der Neubau des Rathauses (inkl. Rathaussaal). Für die Sanierung des alten Rathausgebäudes wurden weitere 2,2 Mio. € veranschlagt [7]. Die Kosten für die Umwandlung des Bahnhofgebäudes zum Kulturbahnhof gibt die Stadtverwaltung aktuell mit 9,3 Mio. € an [8] – Geld, dass in erster Linie von den Hohen Neuendorferinnen und Hohen Neuendorfern aufgebracht wird.
Angesichts steigender Lebenshaltungskosten und steigender Grundsteuern bei gleichzeitig unsicherer werdenden Einkommensverhältnissen wird so manchem Hohen Neuendorfer die Einsicht in solche Projekte fehlen. Ein politisch motivierter Ausschluss von der Teilhabe am mitfinanzierten kommunalen Eigentum dürfte dann zu wachsender Frustration führen und Widerstand provozieren.
Ob dieser Punkt bereits erreicht ist, lässt sich heute noch nicht sagen. Aber das aktuelle Vorgehen der Stadtverwaltung dürfte die Prozesse eher beschleunigen. Die Richtung ist jedenfalls eindeutig.
Text, Foto und Bildbearbeitung: Jan Müggenburg
[1] www.alexander-teske.de
[2] https://www.langenmueller.de/de/inside-tagesschau_4037316_9783784437316
[3] https://tinyurl.com/2sscjv4x
[4] https://hohen-neuendorf.de/de/stadt-leben/veranstaltungskalender/maz-wahlforum-zur-buergermeisterwahl
[5] https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/59917/vielfalt-der-kulturbegriffe/
[6] https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/320694/kultur/
[7] https://www.maz-online.de/lokales/oberhavel/hohen-neuendorf/rundgang-durch-das-neue-rathaus-QMOXT4NCRKHNBMPC4WGNB54H4I.html
[8] https://hohen-neuendorf.de/de/stadt-leben/aktuelles/kulturbahnhof-deshalb-wird-der-bau-teurer
[9] https://wahlergebnisse.brandenburg.de/12/600/20250223/bundestagswahl_land/ergebnisse_gemeinde_120650144144.html
