You are currently viewing Transidentität

Transidentität

Im Interview mit der BF beschreibt Mareike W. ihren Weg bis zur geschlechtsanpassenden OP. Dabei äußert sie als Betroffene auch Kritik an der öffentlichen Präsenz des Themas. Sachlich erläutert sie, wo die wahren Probleme für Transidente liegen und warum das neue Selbstbestimmungsgesetz sich auch als Fremdbestimmungsgesetz entpuppen könnte.

BF: Wann haben Sie zum ersten Mal bemerkt, dass Ihr Körper nicht zu Ihrem geschlechtlichen Selbstverständnis passt und wie lange hat es von da an gebraucht, bis Sie die Entscheidung für eine Geschlechtsanpassung getroffen haben?

Mareike W.: Zum ersten Mal ist mir das mit 13 Jahren in der beginnenden Pubertät aufgefallen. Ich verspürte das Bedürfnis, das Tuch meiner Großmutter als Rock umzubinden und gefiel mir auch darin. Allerdings war eine ebenso ernsthafte wie diskrete Befassung mit dem Thema für mich schwierig. Damals gab es ja noch kein Internet.
Etwa 7 Jahre später während meiner Zeit bei der Bundeswehr habe ich dann bei der DGTI angerufen (Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität, Anm. d. Red.). Am anderen Ende der Leitung empfing mich eine sehr männlich wirkende Stimme, die ich als Herr ansprach und die daraufhin massiv zu stottern anfing. Diese Reaktion konnte ich damals in keiner Weise nachvollziehen und empfand es tatsächlich sogar abstoßend. Ich schloss für mich daraus, dass ich kein solcher „Freak“ und das Thema Transidentität für mich nicht einschlägig sei. Heute wäre ich dazu natürlich ganz anders sensibilisiert. Den inneren Wunsch habe ich Jahrzehntelang in eine Ecke meines Denkens verdrängt und lebte Jahrzehnte ein normales Leben als normaler Mann.
Allerdings habe ich immer wieder gern Frauenkleider angezogen, zunächst von meiner Mutter und später auch von meiner Frau. Vor 7 Jahren wurde der Drang so stark, dass ich an Karneval in Frauenkleidern zur Arbeit gegangen bin.
Einen entscheidenden Impuls gab dann die Fernsehsendung „Nachtcafé“ mit der Hamburger Psychologin Hannah Lietz. In ihren Schilderungen entdeckte ich starke Parallelen zu meiner eigenen familiären und beruflichen Situation. In der Folge begab ich mich selbst in eine psychologische Beratung. „Zur Probe“ ging ich für 6 Tage in ein Hotel und versuchte mir dort über meine inneren Gefühle klarzuwerden.

BF: Wie reagierte Ihre Familie auf diese Entwicklung?

Mareike W.: Mit meinen Kindern führte ich ein offenes Gespräch. Ich erklärte ihnen, dass ich das Gefühl, eine Frau zu sein, schon sehr lange in mir trage. Sie nahmen das relativ gut auf und es gab keine Anzeichen von Ablehnung. Meine Ehefrau kam damit jedoch nicht zurecht, was ich bedauerte, aber zu akzeptieren hatte. Als ich mich letztlich für 6 Wochen in eine psychosomatische Behandlung begab, stand am Ende die Entscheidung für die Transition und für die Trennung von meiner Frau, weil ich nicht länger in der Rolle als klassischer Hetero-Mann zu verbleiben vermochte.

BF: Würden Sie sagen, dass gesellschaftliche Normen und geschlechtsspezifische Rollenbilder Ihre persönliche Entwicklung bis zur Transition hinausgezögert haben.

Mareike W.: Ja. Der gegenwärtige gesellschaftliche Wandel ist auch der Grund für die aktuell steigenden Zahlen. Der gesellschaftliche Druck hat das in der Vergangenheit eingedämmt und letztlich dazu geführt, dass auch ich mich etwa 35 Jahre in der Heterorolle versteckt und meine Transidentität verdrängt habe.

BF: Toleranz gegenüber Menschen mit unterschiedlichsten sexuellen Neigungen und auch gegenüber der Transidentität erfährt in Politik und Medien aktuell relativ große Beachtung. Wird das Maß der öffentlichen Aufmerksamkeit der tatsächlichen gesellschaftlichen Bedeutung des Themas gerecht?

Mareike W.: Menschen wie ich haben natürlich das Recht, ein Leben zu führen, das der inneren Disposition entspricht. Genuin betrifft dieses Phänomen allerdings nur sehr wenige. Die mediale Aufmerksamkeit ist daher nicht nachvollziehbar.

BF: Fühlen Sie sich selbst diskriminiert?

Mareike W.: Nein, weder vor noch nach der Geschlechtsanpassung.

BF: Wo genau liegen heute die Probleme transidenter Menschen? An welchen Stellen fehlen dabei mediale Aufmerksamkeit einerseits sowie politisches Handeln andererseits?

Mareike W.: Es fehlt nicht an medialer Aufmerksamkeit.
Eines der Probleme besteht darin, dass das Phänomen der Transidentität kaum erforscht ist. Es gibt nur wenig wissenschaftlich belastbares Material für die Phase der Vorbereitung der Transition und der Nachsorge. Die Entscheidung für eine OP wird somit zum Gang ins Ungewisse. Es fehlen beispielsweise Studien über Auswirkungen des dauerhaften Hormonkonsums, den Transmenschen auf sich nehmen. Übrigens blicken wir auch mit Sorge auf aktuelle Medikamentenengpässe. Einige Präparate sind z. Zt. am Markt nicht mehr verfügbar.
Ein anderer Aspekt ist, dass Transidente einerseits finanzielle Unterstützung für Leistungen wie die psychologische Betreuung, die OP und Begleitmaßnahmen wie Brustaufbau oder Hormonbehandlung in Anspruch nehmen, andererseits aber nicht als „krank“ gelten wollen. Genau das war aber nach dem alten Transsexuellengesetz die Voraussetzung für die Kostenübernahme. Dieser Konflikt soll nun mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz aufgelöst werden. Das ist durchaus ein schwieriger Punkt. Heute ist es so, dass vieles offiziell bezahlt wird, aber man jede Einzelmaßnahme gg. die Krankenkassen durchfechten muss. Ehrlicher und für alle Beteiligten leichter wäre es, die Betroffenen einen Selbstkostenanteil zahlen zu lassen und den Rest dann zu übernehmen wie jede andere Behandlung auch.

BF: Aber könnte die mediale Aufmerksamkeit gepaart mit politischer Unterstützung nicht dazu führen, dass die angesprochenen Wissenslücken durch gezielte Forschung geschlossen werden, indem z. B. entsprechende Mittel bereitgestellt werden?

Mareike W.: Nein. Damit rechne ich ehrlich gesagt nicht. Das Problem betrifft einfach zu wenige Menschen. Sie bilden keinen interessanten Markt für die Pharmaindustrie.

BF: Sie sprachen bereits das neue Selbstbestimmungsgesetz an. Mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf gehen Sie hart ins Gericht. Was sind Ihre Kritikpunkte?

Mareike W.: Der Gesetzentwurf verfolgt das Ziel zu entpathologisieren, Transidentität also nicht mehr als Krankheit anzusehen. Das birgt natürlich das Risiko, dass die Krankenkassen am Ende für die Kosten der Geschlechtsanpassung nicht mehr aufkommen. Der Gesetzentwurf enthält dazu keine Regelungen sondern verweist auf irgendwelche jederzeit abänderbaren Leitlinien. Diese Regelungen fehlen beim alten und immer noch gültigen Transsexuellengesetz auch. Es betrachtet Transidente aber als krank, woraus sich automatisch Ansprüche gegenüber Krankenkassen ergeben.
Ab 14 Jahren sollen die Kinder auch ohne die Zustimmung der Eltern über ihre geschlechtliche Identität selbst entscheiden können. Im Zweifel landen solche Fälle dann vor dem Familiengericht. Eltern, die ihre Kinder vor einer falschen Entscheidung schützen wollen, sehe ich hier im Nachteil. Zumal Gutachter meiner Erfahrung nach eher bestätigend als neutral beratend auftreten.
Ein weiteres Problem sehe ich darin, dass Eltern damit de facto zum 1. Mal die Möglichkeit erhalten, das Geschlecht ihrer Kinder selbst festzulegen. Im Falle von Eltern, die mit dem Geschlecht ihres Nachwuchses unzufrieden sind und Kinder entsprechend aufwachsen lassen, könnte sich das Selbstbestimmungsgesetz letztlich so gar als Fremdbestimmungsgesetz entpuppen. Der Fall Bruce/Brenda/David Reimer sollte uns allen als stete Mahnung gelten.
Geradezu lächerlich ist die Möglichkeit des jährlichen Wechsels der geschlechtlichen Identität. So etwas macht man nur 1x im Leben und eine ganz geringe Anzahl revidiert diese Entscheidung. Aber 1x jährlich…? Vor allem Jugendlichen droht hier die Gefahr, die Orientierung zu verlieren.

BF: Gibt es denn auch etwas Positives an dem neuen Gesetz?

Mareike W.: Die Eintragung des Geschlechterwechsels auf dem Amt könnte dazu führen, dass sich die Gesamtkosten reduzieren, da Gerichtskosten und auch die Kosten für 2 unabhängige psychologische Gutachten entfallen. Wie schon erwähnt fallen die Gutachten von darauf spezialisierten Psychologen ohnehin eher bestätigend aus. Meiner Erfahrung nach gibt es keine ergebnisneutralen Gutachten. Das ist besonders für Jugendliche in der Pubertät ein riesiges Problem.
Vor 7 Jahren, als ich hierzu intensiv recherchierte, gab es praktisch nur Transitionsgeschichten. Heute gibt es eine zunehmende Zahl von Detransitionsgeschichten, also Fälle von Menschen, die nach der Geschlechtsanpassung feststellten, dass dies nicht die richtige Entscheidung für sie war. Diese Entwicklung zeigt, dass man gerade bei Jugendlichen nicht so mit dem Thema umgehen kann wie bei fortgeschrittenen Erwachsenen und es eines ganz anderen Maßes der Sensibilität bedarf.

BF: Frau W., vielen Dank für das Gespräch.
(Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt.).

Das Gespräch führte Jan Müggenburg für die Brandenburger Freiheit.

Titelbild:
Vorlage: https://pixabay.com/de/vectors/mann-frau-toilette-damen-herren-307824/
Bearbeitung: Jan Müggenburg