Im Interview mit der Brandenburger Freiheit erläutern Verena und Hartmut Rein, welchen Zweck dezentrale Proteste im ländlichen Raum erfüllen und wo sie ein Bindeglied zwischen den verschiedenen Krisen unserer Zeit sehen. Außerdem berichten sie von den Schwierigkeiten, die die Bürgerinitiative damit hatte, der Stadt Kyritz eine Bank zu schenken.
BF: Ihr seid Gründungsmitglieder der Bürgerinitiative für Grundrechte Region Kyritz. Die Initiative ist seit einiger Zeit mit grundrechtsorientierten Aktionen und Demos in Kyritz aktiv. Wann hattet Ihr Euch dazu entschlossen und welche Gründe gab es für dieses Engagement?
V. u. H. Rein: Das war im Januar 2022. Wir waren zuvor bereits in Berlin aktiv. Seit unserem Umzug nach Kyritz suchten wir aber auch nach Gleichgesinnten in der neuen Heimat. Eines Tages sahen wir ein Video von einem ortsansässigen Mediziner, der zur damaligen Situation klare Worte fand. Wir wollten uns unbedingt mit ihm verabreden. Auf ein erstes Kennenlerntreffen folgte dann die Gründung unserer Bürgerinitiative mit etwa 10 Leuten.
Anlass waren natürlich die anhaltend scharfen Corona-Maßnahmen und die drohende Impfpflicht. Sie waren das einigende Element der damaligen Zeit innerhalb der Initiative. Ähnlich wie wir waren einige der anderen Mitglieder zuvor auch als Teilnehmer auf den großen Demos unterwegs.
BF: Welche Wirkung lässt sich ganz allgemein mit Demos erzielen und sind dezentrale Aktionen wie Demos in kleineren Orten überhaupt sinnvoll?
V. u. H. Rein: Wir sind davon überzeugt, dass viele dezentrale Demos sogar wirkungsvoller sein können als große Demos an repräsentativen Orten. Sie sind weniger anonym und wirken weniger bedrohlich. Damals veranstalteten wir jeden Sonntag eine Demo auf dem Kyritzer Marktplatz und versammelten in der Spitze 200 Menschen. Diese Resonanz erzielen wir heute nicht mehr. Wir sind aber immer noch 14-tägig mit Kundgebungen auf dem Marktplatz präsent, freitags 17 Uhr.
Natürlich sind auch solche kleinen Versammlungen eine Begegnungsstätte für Gleichgesinnte und eine gute Gelegenheit zur Vernetzung. Jenseits der politischen Ziele sind hier Freundschaften und gegenseitige Hilfsangebote entstanden.
Ein Effekt der dezentralen Demos war damals auch polizeiliche Einsatzkräfte zu binden, den Protest öffentlicher zu machen und gleichzeitig auch ein wenig Sand ins Getriebe zu streuen. Viele dezentrale Demos transportieren die Kernbotschaften wahrscheinlich besser an die politischen Entscheidungsträger als eine große Demo. Das Scheitern der allgemeinen Impfpflicht zeigt, dass einige dieser Botschaften nicht nur angekommen sondern auch verstanden worden sind.
Außerdem wollten wir auch mit den kommunal Verantwortlichen in den Dialog treten.
BF: Wie gut hat das funktioniert?
V. u. H. Rein: Zu Beginn sehr gut. Wir konnten unsere Bedenken gegen die Corona-Informationen und Corona-Maßnahmen der Bundesregierung der Bürgermeisterin in Kyritz und dem Bürgermeister der Nachbarstadt vortragen. Wir legten offizielle Fakten und Zahlen aus z.B. Israel und den USA vor, die unsere Bedenken belegten und auf Interesse stießen. Später versuchten wir als BI mit der Bürgermeisterin und den Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung zur Evidenz der Corona-Maßnahmen ins Gespräch zu kommen. Dazu wollte die Bürgermeisterin einen Rechtsextremismusexperten als Moderator einladen, was wir ablehnten, da wir uns nicht framen lassen wollten. Letztendlich kam es dann wegen der damals geltenden Masken-Regeln in Räumen, die wir ja für Unsinn hielten und ablehnten, zu einem Gespräch in einem eigens auf dem Hof des Rathauses aufgestellten Zelt (es war Winter). In dem Gespräch konnten wir zwar unsere Argumente und Positionen austauschen, jedoch folgten nahezu alle Fraktionsvertreter ohne einen Zweifel allen Regierungsargumenten und der Medienberichterstattung.
BF: Wie hat die lokale Presse auf Eure Aktionen reagiert?
V. u. H. Rein: Unterschiedlich. Die Beiträge waren teils sachlich/neutral bis diffamierend. Am schwersten wog der Vorwurf, wir seien „rechtsoffen“, weil wir einen sachlichen Umgang mit der AfD eingefordert hatten. Unsere Bürgermeisterin verbreitete z.B. im Zuge der Werbung für eine „Kundgebung für Demokratie und Freiheit, gegen Hass und Hetze“ Plakate mit dem Stadtwappen, die den Hashtag #NOAFD trugen, in den Amtlichen Mitteilungskästen und der Website der Stadt und suggerierte damit, dass ein „guter“ Kyritzer gegen die AfD zu sein habe. Damit waren wir nicht einverstanden und erinnerten öffentlich an ihr Neutralitätsgebot.
BF: Corona-Krise, Energiekrise, Wirtschaftskrise und der militärische Konflikt in der Ukraine – angesichts multipler Krisen bekommt so mancher Zeitgenosse den Eindruck, die Welt würde aus den Fugen geraten. Auch Ihr habt mit Eurem Bekenntnis zu Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Freiheit, Frieden und das Grundgesetz Berührungspunkte zu all diesen Krisen. Seht Ihr in Eurer politischen Arbeit dennoch einen Schwerpunkt?
V. u. H. Rein: Es ist richtig, dass auch wir unsere Schwerpunkte im Laufe der Zeit verschoben haben. Am Anfang war es der Protest gegen die Corona-Maßnahmen und die Impfpflicht. Aktuell liegt unser Fokus auf der Forderung nach Diplomatie und Friedensinitiativen statt Kriegstreiberei und der Militarisierung Deutschlands. Aber auch die Energiepolitik hatten wir bereits thematisiert. Aktuell entstehen um uns herum überall Wind- und Solarparks und mit ihnen neue Bürgerinitiativen, die sich gegen die damit verbundene Zerstörung von Natur und Umwelt sowie unserer Landschaft wenden.
All diese Dinge existieren nicht losgelöst voneinander. Als Bindeglied sehen wir globale Zusammenhänge im Finanzsystem. Viele Leute verdienen mit Krieg, Pharmazeutika oder auch sogenannten „grünen“ Investments viel Geld. Gesellschaften wie BlackRock oder Vanguard erhöhen ständig ihre Gewinne, es findet die größte Umverteilung von Geld von unten zu einigen wenigen Finanzinvestoren auf globaler Ebene statt, während die Interessen der Normalbürger auf der Strecke bleiben. Dabei durchdringt der global agierende Turbokapitalismus mit privatem Kapital immer weitere Bereiche der Gesellschaft. Ausdruck dafür sind die sogenannten Public Private Partnerships, insbesondere bei internationalen Organisationen, wie zum Beispiel der WHO, die weitgehend von privaten Geldgebern finanziert und damit dominiert und gelenkt werden.
Wahrscheinlich wird auch die digitale Transformation unserer Gesellschaft missbraucht werden. Die Digitalisierung schreitet stetig voran. Zahlreiche Pilotprojekte, die durch die Digitalisierung zu unserer kompletten Überwachung führen, laufen ja überall bereits. Kürzlich wurden Pläne der Landesregierung in Niedersachsen bekannt, wonach allen Schülern eine digitale Schüler-ID zugewiesen werden soll. Offenbar ist den Leuten nicht bewusst, dass sie dabei wieder ein Stück Freiheit abgeben.
BF: Glaubt Ihr, dass eine Mehrheit im Lande „Freiheit“ als Wert überhaupt zu schätzen weiß?
V. u. H. Rein: Nein. Für viele ist Freiheit ein völlig diffuser Begriff ohne Inhalt. Sie bemerken nicht den Verlust an Freiheitsrechten. Allerdings benötigt man für einen Kurswechsel nicht unbedingt große Mehrheiten. Wir befürchten aber, dass ein breiter Bewusstseinswechsel erst einsetzt, wenn viele Menschen einen schmerzhaften Verlust erleiden, ideell und materiell, vermutlich eher materiell.
BF: Eure Initiative stiftete der Stadt Kyritz eine Bank mit Inschrift als Symbol für Grund- und Menschenrechte. Gab es beim Aufstellen der Bank Probleme mit der Stadtverwaltung?
Hartmut Rein: Ja, und zwar massiv! Damals gab es in Kyritz bereits eine Bank gegen Rassismus finanziert mit Mitteln des Bundes und des Landes aus den Programmen „Demokratie leben“, „Tolerantes Brandenburg“ und dem „Bündnis für Brandenburg“. Wir sind nicht gegen diese Bank, denn wir sind auch gegen Rassismus. Aber die anhaltenden Einschränkungen der Grundrechte in der Corona-Zeit veranlassten uns zu der Überlegung, auf dem Markplatz eine weitere Bank für den Erhalt der Grund- und Menschenrechte aufzustellen. Wir wollten sie der Stadt schenken und schlugen dies per Brief der Bürgermeisterin und den Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung vor.
Unser Anliegen wurde im Hauptausschuss zunächst abgelehnt, gelangte dann aber durch eine CDU-Abgeordnete als Antrag auf die Tagesordnung der folgenden SVV. Völlig überraschend erhielt er eine Mehrheit. Die Gegenstimmen gegen die „Grundrechte-Bank“ kamen von der Bürgermeisterin, der SPD und den Grünen sowie der halben Fraktion der Linken.
Während dieses Prozesses trat dann zutage, dass es über die Anti-Rassismus-Bank nie eine Abstimmung gegeben hatte. Das war natürlich peinlich für die Verwaltung. Aber es kam noch besser.
Als es um die Umsetzung des Beschlusses ging, wurden wir aufgefordert eine sanierungsrechtliche Erlaubnis und denkmalrechtliche Genehmigung für die Bank vorzulegen. Außerdem sollten wir zusichern, die Instandhaltung und Haftung der Bank zu übernehmen. Unwissend wie wir waren, fragten wir bei der Stadtverwaltung nach, wie das für die Anti-Rassismus-Bank erfolgte, um uns daran orientieren zu können. Auch wiesen wir darauf hin, dass es sehr ungewöhnlich ist, für eine Schenkung die Instandhaltung und Haftung zu übernehmen.
Es deutete sich an, dass all diese Dinge für die erste Bank nicht vorlagen. Die Stadt nahm umgehend alle weiteren Formalitäten in die eigene Hand und wir konnten ohne weitere Probleme den Schenkungsvertrag mit der Stadt Kyritz unterzeichnen.
Von der Idee bis zur Aufstellung hatte es 1 1/2 Jahre gedauert. Am 29.10.2023 war es dann soweit und wir konnten die Bank im Rahmen einer offiziellen Veranstaltung der Stadt übergeben.


BF: Wie wird die Bank von den Kyritzern angenommen?
V. u. H. Rein: Die Leute mögen die Bank. Sie ist sehr bequem, künstlerisch gestaltet und hat eine wertige, leuchtende Erscheinung und steht auf der Sonnenseite des Marktplatzes. Auch die geschnitzten Bücherstapel mit symbolisierten Grundgesetzen als Grundpfeiler für die Sitzfläche halten wir für eine ebenso schöne wie passende Idee.
BF: Ihr seid privat gleichzeitig Gründer und Betreiber des Youkali, einem Kulturzentrum im kleinen Kyritzer Ortsteil Ganz. Wie kam es zu dieser Idee und hat sich das Youkali über die Corona-Krise hinweg so entwickelt, wie Ihr es Euch vorgestellt hattet?
Verena Rein: Bei unserer Ankunft hier in Ganz hatten wir uns schnell in die Scheune verliebt. Ich bin selbst professionelle Sängerin, meine Tochter Malerin und Tänzerin. Unser Ziel war es, einen Ort zu schaffen, an dem verschiedene Kunstformen vereint sind. Dazu wollten wir nicht nur Veranstaltungen anbieten, sondern auch Seminare.
Corona hat dann letztlich dazu geführt, dass wir neben Kulturveranstaltungen, auch einen Ort für den Gedankenaustausch und den gesellschaftlichen Diskurs bieten wollten. So entstand die Idee zur Veranstaltungsreihe „Wie wollen wir leben?“.
Übrigens ist „Youkali“ der Name eines Musikstückes von Kurt Weil. Das Lied war eine heimliche Hymne der französischen Résistance in der Zeit des Nationalsozialismus. Youkali bedeutet darin „Insel der Hoffnung, Toleranz, Glückseligkeit und des Friedens“ – ein passender Name für unser Kulturzentrum, wie wir finden.
BF: Welche der kommenden Veranstaltungen sind für Euch besondere Höhepunkte?
Verena Rein: Ein besonderer Höhepunkt war zweifellos der Vortragsabend mit Ralph Boes am 4. Mai 2024. Ralph Boes war schon immer ein echter Freigeist, der es versteht, die Menschen in seinen Bann zu ziehen. Aber es wird weitere tolle Veranstaltungen geben. Am 07. Juni ist Michael Andrick bei uns zu Gast und stellt sein neues Buch „Im Moral-Gefängnis – Spaltung verstehen und überwinden“ vor. Im August macht der Jurist, Autor und Journalist Milosz Matuschek auf seiner Lesereise bei uns im YOUKALI Station und wird aus seinem neuen Buch “Stromaufwärts zur Quelle“ lesen.
BF: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Jan Müggenburg für die Brandenburger Freiheit. Fotos & Bearbeitung: Jan Müggenburg