You are currently viewing „Frieden schließen, Mythen und Wirklichkeit“

„Frieden schließen, Mythen und Wirklichkeit“

Im Vorfeld zum Auftritt von Daniele Ganser in Frankfurt/O. bemühte sich das Kleist-Museum darum, die Deutungshoheit zum Ukraine-Konflikt in der Stadt zu wahren. Hier der BF-Bericht zur Podiumsdiskussion am 06.03.2024.

Zu dieser Veranstaltung war über einen MOZ-Artikel eingeladen worden. In diesem Artikel ging es vor allem darum, den Vortrag zum Weltfrieden, des Schweizer Historikers und Friedensforschers, Dr. Daniele Ganser, welcher am 19.03.2024 in der Messerhalle in Frankfurt (Oder) stattfinden wird, kritisch zu betrachten. Zahlreich waren die Menschen am Mittwochabend, im Kleist Haus erschienen. Es mussten noch Stühle herangetragen werden, um alle Zuschauer unterzubringen.

Auf dem Podium saßen, Tim Beichelt, Prof. für Europa Studien an der Viadrina, Andreas Oppermann, Redaktionsleiter vom rbb Studio Frankfurt (Oder), Adrian Robanus, Kurator und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kleistmuseums sowie Jan Behrends, Prof. für deutsche und europäische Zeitgeschichte. Moderiert wurde die Veranstaltung von Frau Gemma Prözgen, Journalistin und Autorin u.a. auch freie online Redakteurin beim Deutschlandfunk Kultur.

Herr Behrends erzählte von seinen Vorträgen in Schulen und seinem damit verbundenen Entsetzen darüber, wie wenig Wissen unter Schülern und Lehrern über Osteuropa und die NATO-Osterweiterung vorhanden ist. Auch von seinen ukrainischen Studenten wusste er zu berichten, die unter dem Krieg leiden und gern in einer friedlichen und freien Ukraine leben wollen, aber nicht unter russischer Vorherrschaft. Auch auf die von russischer Seite verübten Kriegsverbrechen ging Herr Behrends kurz ein.

Herr Oppermann ist der Ansicht, dass den Deutschen eine realistische Einschätzung der gegenwärtigen Lage schwerfalle, da sie eine zutiefst pazifistische Gesellschaft sind. Wir müssten lernen militärisch zu denken, wenn wir die Ukraine und die Handlungsspielräume der Kriegsparteien verstehen wollen. Und wir sollten uns auch „ins Dunkel“ wagen.

Prof. Tim Beichelt, sagte in seiner Vorstellungsrunde, dass er in seinem Fachgebiet für deutsche und europäische Zeitgeschichte stets im Vorfeld wisse, dass gerade getroffene Erkenntnisse schon bald nicht mehr der Wahrheit entsprechen können. In diesem Zwiespalt müsse er leben und arbeiten.

Herr Robanus, als Kurator des Kleisthauses wies unter anderem auf eine demnächst geplante Veranstaltung im Hause zu Kleist und Kant (anlässlich des Kantjahres 2024) hin, sowie auf eine Inszenierung des Kleiststückes „Prinz Friedrich von Homburg“, im deutschen Theater in Berlin. Dieses Kleiststück, von Andreas Kriegenburg inszeniert, lässt Homburgs berühmten Satz: „In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ ausfallen und diesen gemeinsam mit Kleist den Freitod suchen.

Nach der Vorstellungsrunde auf dem Podium tauschten sich die Podiumsgäste untereinander aus. Dabei werden überwiegend die medial herrschenden Narrative bedient. Es wird darauf hingewiesen, dass dieser Krieg weiterhin dringend unterstützt werden muss, sich die Deutschen auf eine Kriegswirtschaft und Einschnitte in allen Bereichen einstellen sollten und es könne keinesfalls zugelassen werden, dass die Ukraine diesen Krieg verliert.

Zu Herrn Dr. Ganser äußert man sich inhaltlich gar nicht. Herr Beichelt kritisiert den Eintrittspreis dieser Veranstaltung, der 29,90 Euro beträgt und den sich nicht jeder leisten könne. Ohne bei dieser Äußerung einen Vergleich heranzuziehen. Denn Karten für Veranstaltungen insgesamt liegen teilweise in einem noch höheren Preissegment, auch hier fragt sich niemand, ob die Leute sich Kultur und Bildung noch leisten können.

Nach etwa fünfzig Minuten wird die Diskussion für das Publikum, in welchem es reichlich Interesse an Wortmeldungen gibt, freigegeben.

Die meisten der Zuschauer begrüßen diese Veranstaltung und wünschen sich solche Formate auch zukünftig. Es wird von Seiten des Publikums daran erinnert, dass auf beiden Seiten Menschen sterben, und von daher, taktische Überlegungen unangebracht sind, sondern dringend Friedensverhandlungen erfolgen müssen. Waffen töten Menschen und haben noch nie einen Krieg beendet. Auch die Kriege der Amerikaner sollten mehr thematisiert werden, diese werden derzeit völlig ausgeblendet, ebenso wie das Morden im Gazastreifen.

Ein anderer Zuschauer äußert sein Unverständnis darüber, dass man nicht dem Titel der Veranstaltung „Frieden schließen“ gerecht werde. Herr Behrends antwortet auf diese Frage, dass er nicht über Frieden reden könne, da in der Ukraine Krieg herrsche und man den Ukrainer nicht zumuten könne unter russischer Okkupation zu leben. „Da werden ältere Menschen wie Sie und ich vom Fahrrad geschossen.“ (Zitat Herr Behrends)

Auch der ehemalige Oberbürgermeister und Bundestagsabgeordnete Herr Patzelt (CDU) sitzt im Publikum und schaltet sich in die Diskussion ein. Er sagt, er hätte nach Kriegsausbruch der Ukraine keine Chance eingeräumt und sich als Pazifist an sich für Friedensverhandlungen ausgesprochen. Dann aber hätte er, durch die Begegnung mit einer jungen Ukrainerin seine Meinung geändert. Er hat diese junge Frau gefragt, ob sie bereit wäre für ihre Freiheit zu sterben. Darauf habe diese junge Frau ohne zu Zögern mit „Ja“ geantwortet und gesagt sie möchte nicht unter der Diktatur der Russen leben.

Zuschauerinnen melden sich zu Wort und erinnern an die vielen Opfer auf beiden Seiten und auch daran, dass sie als Mütter nicht bereit sind, ihre Kinder in einem weiteren sinnlosen Krieg, wie zuvor ihre Großmütter und Urgroßmütter und derzeit ukrainische, russische Mütter und so viele Mütter auf der ganzen Welt, zu opfern. Dass Kriege nie zu Frieden führten und Gewinner von Kriegen nie die Völker waren und sind.

Einige Zuschauer bieten Herrn Beichelt an, ihm eine Karte für den Vortrag von Dr. Ganser zu schenken, was dieser ablehnt und zugibt, dass es nicht am Preis der Karte liegt, sondern er sich fragt, was er denn bei Dr. Ganser überhaupt lernen könnte. Zumal man viele seiner Vorträge frei im Internet sehen kann.

Jemand aus dem Publikum fragt ironisch, was denn passieren würde, wenn er zu Dr. Gansers Vortrag geht, ob er dann gewalttätig werden würde.

Herr Oppermann ist der Ansicht, dass Herr Ganser ein sektenhaftes Auftreten an den Tag lege und seine Anhänger um sich scharen würde. Außerdem, würde auch Herr Ganser, wie ein großer Teil des Publikums, russlandfreundliche Ansichten vertreten. Das könne Herr Oppermann ja verstehen, weil in der Geschichte des Ostens die Russen bis Anfang der 90er Jahre eine große Rolle gespielt haben. Er selbst stamme aus dem Westen und sei mit den Amerikanern aufgewachsen, seine Schwestern hätten Amerikaner geheiratet und lebten in Amerika. Aber wenn jemand gegen den „amerikanischen Imperialismus“ ist, müsse er auch gegen den „russischen Imperialismus“ sein.

Auf die Nachfrage eines Zuhörers im Publikum, woran denn festgemacht wird, dass Herr Dr. Ganser antisemitisch sei, antwortete nach kurzem Zögern, dann Herr Robanus. Ganser hätte den Holocaust als „lokalen Wahnsinn“ bezeichnet und den Kampf gegen die Corona-Pandemie dagegen als „globalen Wahnsinn“. Dies wäre antisemitisch und die jüdische Gemeinde der Stadt Frankfurt (Oder) hätte bereits gegen den Ganser Vortrag protestiert.

Auch das mitgeschnittene Gespräch deutscher Luftwaffenoffiziere, zum Einsatz deutscher Marschflugkörper, um Brücken auf russischem Gebiet zu zerstören, wurde von den Zuhörern thematisiert. Hier hatte Herr Oppermann eine eindeutige Meinung, mit welcher er dieses Gespräch versuchte zu relativieren. So etwas würden Offiziere nun mal machen, solche strategischen Planungen sind Tagesgeschäft, außerdem hätte der Kanzler Scholz die Taurus Marschflugkörper nicht freigegeben, obwohl wir uns im Krieg befinden. Diese Äußerungen führten im Publikum zu Unruhe und Gegenwind. Von Seiten des Publikums wurde an den zwei plus vier Vertrag erinnert, der auf dem Podium keine Erwähnung fand und daran, dass bisher alle Waffen nach einigem Taktieren doch geliefert wurden.

Eine letzte Frage aus dem Publikum, betraf die Friedensverhandlungen vom März 2022 zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul, welche gute Aussichten auf Erfolg hatten, aber nach Aussage des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Bennett, von Boris Johnson und den USA gestoppt wurden. Herr Behrends als Historiker begründete das Scheitern dieser Friedensverhandlungen mit dem Massaker von Butscha. Obwohl er eigentlich wissen müsste, dass dies erst einen Monat später stattfand. Zynische Kommentare von Seiten des Publikums, wie im MOZ Artikel vom 8.03.2024 (Felix Krone) behauptet gab es zu diesem Massaker nicht. Ebenso stimmt es nicht, dass sich die „Freigeister“, nachdem die Moderatorin das Ende der Veranstaltung verkündete, zügig von den Plätzen erhoben und gingen. Noch eine Stunde später waren viele der Anwesenden in Gespräche, zum Teil auch mit den Podiumsgästen, aber auch untereinander vertieft. Viele waren sich einig, dass solche Veranstaltungen eine Fortsetzung finden sollten. Miteinander reden nicht übereinander.

Kerstin Welke

(hat selbst die Veranstaltung besucht und den MOZ-Artikel vom 8.03.2024 von Felix Krone zitiert)