You are currently viewing Interview mit Marco Hintze

Interview mit Marco Hintze

Zu den seit Dezember laufenden Bauernprotesten zieht der Präsident des Bauernbundes Brandenburg eine verhalten optimistische Zwischenbilanz. Wer mehr über Marco Hintzes angespanntes Verhältnis zu den Medien und den großen Bauernverbänden wissen möchte, wie er die aktuelle Lage bewertet und wie lange die Bauern wohl noch durchhalten werden, sollte dieses Interview nicht verpassen. Außerdem verrät Hintze den BF-Lesern, was er von einer Fleischsteuer hält.

BF: Trotz massiver landesweiter Proteste, hält die Bundesregierung an der Abschaffung der Steuerrückerstattung für Agrardiesel fest auch wenn sie nun stufenweise erfolgen soll. Hat sich der Protest aus Ihrer Sicht gelohnt?

Marco Hintze: Momentan sehen wir in der Politik sehr viel Bewegung. Die Ampel wollte die Pläne zur schrittweisen Abschaffung der Mineralölsteuer-Rückerstattung für Landwirte im Hauruck-Verfahren bereits Anfang Februar durch den Bundesrat bringen. Doch darauf ließ sich der Bundesrat nicht ein. Die Angelegenheit wird nun auf der nächsten regulären Sitzung am 22. März behandelt. Dieser Umstand stimmt uns optimistisch. Er hat uns Zeit für unsere Aktion „Wertschätzung für Werner“ verschafft.

BF: Worum geht es dabei?

Marco Hintze: Im Rahmen dieser Aktion fuhren wir mit Traktoren zu den Landesregierungen der 13 Flächenländer, um dort unsere Forderungen zu übergeben und so Einfluss auf die Abstimmung im Bundesrat zu nehmen.
Unsere Proteste haben bereits viele Ministerpräsidenten in den Bundesländern sensibilisiert – nicht nur jene, die in diesem Jahr vor Landtagswahlen stehen. Insbesondere Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Backhaus hat unsere Situation sehr gut verstanden und versucht gegenwärtig weitere Unterstützung für unsere Anliegen in den SPD-geführten Ländern zu gewinnen.

BF: Warum haben gerade die Abschaffung der Steuerrückerstattung für Agrardiesel und die zwischenzeitlich diskutierte Abschaffung der KfZ-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge eine derart heftige Reaktion nach sich gezogen?

Marco Hintze: Die im Dezember vorgestellten Pläne der Bundesregierung, sowohl die KfZ-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge als auch die Steuerrückerstattung für den Agrardiesel abzuschaffen, haben das Fass in der Tat zum Überlaufen gebracht. Lassen Sie mich aber klarstellen, dass es uns nicht nur darum ging, diese beiden Vorhaben abzuwenden. Wir wollen das ganze Fass aufarbeiten.
Jeder Landwirt muss heute schon 30% seiner Arbeitszeit zur Bewältigung der Bürokratie aufwenden. Damit haben wir mit Spediteuren, Apothekern und anderen Unternehmern etwas gemein. Kein Wunder, dass sich viele von ihnen unserem Protest anschlossen.
Mit der Düngemittelverordnung, der Pflanzenschutzverordnung und vielen anderen Vorschriften regiert die Exekutive in unseren fachlichen Kompetenzbereich hinein. Dabei wird der Managementkorridor so verengt, dass kaum noch wirtschaftliche Handlungsspielräume bleiben.
Die Gesetzgebung erlaubt uns beispielsweise nicht, langfristige Preise im Vorfeld auszuhandeln. Wenn die Ernte eingefahren ist, kann uns der Großhandel mit aktuellen Weltmarktpreisen unter Druck setzen. Die Frage, ob wir damit unsere Kosten decken können, interessiert niemanden.

BF: Wie reagiert die Politik auf Ihre Kritik?

Marco Hintze: Zunächst möchte ich betonen, dass wir mit allen demokratischen Parteien reden. Beispielsweise sind für den 23.02.24 Treffen mit Fr. Mohamed Ali vom BSW und mit Herrn Aiwanger von den Freien Wählern fest vereinbart. Wir sind ein überparteilicher Verband. Dieser Aspekt ist uns wenige Monate vor der Wahl zum europäischen Parlament wichtig. Die EU sieht übrigens in ihrem Green Deal die Stilllegung weiterer landwirtschaftlicher Nutzflächen vor. Das hat unmittelbare Auswirkungen nicht nur für die Landwirte sondern auch für die Verbraucher.
Leider wurde unsere Kritik in der Vergangenheit weder von CDU, SPD, FDP noch den Grünen in angemessener Weise aufgegriffen. Gespräche über die bereits erwähnten Probleme bei der Preisgestaltung führen wir bereits seit 8 Jahren, bislang leider ohne Ergebnis.
Ähnlich verhält es sich mit unserer Forderung nach einem Einlenken beim Mercosur-Abkommen im Interesse der heimischen Landwirtschaft. Aktuell kämpfen wir für ein Ende der zollfreien Einfuhren landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus der Ukraine, genauso wie es Polen, Tschechien, die Slowakei und auch Ungarn handhaben. Diese Maßnahme würde uns helfen aber den Haushalt nicht belasten. Einem Transit dieser Produkte für den Export in den Weltmarkt steht zudem nichts im Wege.
Beispielsweise sind Ölsaaten aus der Ukraine deutlich günstiger als heimische Produkte. Sie entsprechen aber nicht den europäischen Standards weder in technologischer Hinsicht noch im Hinblick auf die Sozialstandards. Eine Einmischung dieser Erzeugnisse in Lebensmittel ist für Verbraucher durchaus mit hohen Risiken verbunden. Ich glaube, das ist vielen Menschen gar nicht bewusst.

BF: Wie beurteilen Sie die Wiedergabe der Bauernproteste in den Medien?

Marco Hintze: Aktuell sind in 13 europäischen Ländern Bauern auf der Straße. Dieser Fakt wird nirgendwo ausreichend beleuchtet.
Was unsere eigenen Proteste anbelangt, so sehe ich gegenwärtig ‚Die Welt‘ als Lichtblick in der Medienlandschaft. Das gilt sowohl für den TV- als auch den Print-Bereich. Den ÖRR empfinde ich dagegen verstörend ignorant gegenüber Fakten und Tatsachen. Am 29.01.24 gab ich dem RBB ein etwa 15-minütiges Interview. Davon wurde nicht eine Sekunde gesendet.
Andererseits haben wir aber auch gelernt, die Möglichkeiten des Internets und der sozialen Netzwerke für uns zu nutzen. Eines unserer erfolgreichsten Videos hatte über alle Plattformen zusammen genommen 46 Mio. Aufrufe. Wir wissen, wie wir die Menschen erreichen können.

BF: Für einige Landwirte hat die Saison bereits begonnen. Für andere schließt sich das winterliche Zeitfenster. Wie geht Ihr Verband mit der jetzigen Situation um? Läuft Ihnen für weitere Aktionen die Zeit davon? Welche Handlungsspielräume bleiben den Bauern noch?

Marco Hintze: Agrotechnische Termine beginnen im Februar bzw. März. Unsere Proteste lassen sich deshalb vielleicht noch bis Mitte März aufrechterhalten. Danach bleibt dafür wirklich keine Zeit mehr. Hinzu kommt, dass wir bereits seit dem 18.12.23 viele Aufgaben zurückgestellt haben. Diese Dinge erledigen sich nicht von selbst. Das muss aufgearbeitet werden.

BF: Könnte die Befassung des Bundesrates mit der Agrardieselrückerstattung am 22. März vor diesem Hintergrund nicht auch ein taktisches Manöver sein?

Marco Hintze: Das ist denkbar. Wir setzen jedoch darauf, dass unsere Proteste ihre Wirkung entfalten und bei Entscheidungsträgern zu Einsichten führen. Hinzu kommt, dass in einigen Bundesländern Wahlen anstehen. Und allen ist sicherlich klar, dass die Interessen der Bauern letztlich auch die Interessen der Verbraucher sind.

BF: Wie beurteilen Sie rückblickend die Straßenproteste als Mittel zur Durchsetzung von politischen Forderungen?

Marco Hintze: Als Druckmittel sind sie bedingt geeignet. Beispielsweise fehlte den Corona-Protesten noch die notwendige Manpower. Unsere Traktoren hinterlassen da auf der Straße schon wesentlich mehr Eindruck. Letztlich gibt es aber bei uns keine ausgeprägte Protestkultur wie in Frankreich, wo die Bauern immer wieder mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam machen. Einige Kollegen nehmen das nicht nur zur Kenntnis sondern wünschen sich diese Gangart auch hierzulande. Wir stehen einfach mit dem Rücken zur Wand.

BF: Die Freien Bauern sehen sich als Interessenvertretung der bäuerlichen Familienbetriebe in Deutschland. Warum fühlen Sie sich bei den großen Verbänden wie dem DBV nicht gut aufgehoben?

Marco Hintze: Im DBV sind viele Politiker. Er vertritt vor allem die Interessen der Agrar-Großbetriebe.
Als DBV-Chef Rukwied nie dagewesene Proteste ankündigte und Landwirtschaftsminister Özdemir daneben stand, war uns klar, dass dieses Vorgehen ein abgekartetes Spiel war. Rukwied ist m.E. nicht für die Bauern da. Er ist vielmehr derjenige, der die Interessen der Politik an die Bauern heranträgt.
Der DBV ist politisch manipulierbar. Viele hauptamtliche Funktionäre sorgen dafür, dass große Geldgeber ihre Interessen durchsetzen können. Bei uns steht dagegen die ehrenamtliche Tätigkeit im Vordergrund. Spenden können nur projektbezogen oder bis max. 50€ überwiesen werden. So wollen wir uns vor einer Abhängigkeit von den Spendern schützen.
Immer mehr Bauern sehen die Rolle des DBV kritisch und wissen unseren Einsatz für Ihre Interessen zu schätzen. Seit Anfang des Jahres verzeichneten wir 130 neue Mitglieder. Bundesweit vertreten wir inzwischen 1700 Bauern.

Marco Hintze ist stellvertretender Bundessprecher der Freien Bauern und Präsident des Bauernbundes Brandenburg. Als Meister der Landwirtschaft und staatlich geprüfter Betriebswirt bewirtschaftet er einen konventionellen Landwirtschaftsbetrieb mit ca. 500ha Fläche. Dabei baut er wechselnd Ackerfrüchte, Raps, Triticale (Tierfutter, Kreuzung aus Weizen und Roggen) sowie Dinkel, Hafer und Mais an. Ein Großteil der pflanzlichen Erzeugnisse geht in die eigene Mutterkuhhaltung. Die Vermarktung der eigenen Fleischprodukte erfolgt direkt auf dem Hof (www.bauer-hintze.de).
Das Unternehmen wird seit mehr als 30 Jahren als Familienbetrieb geführt, hat 4 Mitarbeiter und betreut z.Zt. einen Auszubildenden.

BF: Dennoch haben die Freien Bauern den Aufruf des DBV zur Protestwoche Anfang Januar mit unterstützt.

Marco Hintze: Richtig. Da stellten wir uns ganz in den Dienst der Sache. Freie Bauern und LSV unterstützten den Aufruf. Wir waren auf dem offiziellen Flyer vertreten, den wir auch in unseren Netzwerken verteilten. Außerdem waren wir mit unseren Leuten und unserer Technik dabei. Es war sogar vorgesehen, dass Vertreter von uns auf der Kundgebung in Berlin zu Wort kommen sollten. Doch am Veranstaltungstag erfuhren wir, dass wir kurzer Hand von der Rednerliste gestrichen wurden. Für unsere Mahnwache, die wir seit dem 08.01.24 in Berlin abhielten, erhielten wir vom DBV keine Unterstützung noch nicht einmal eine Erwähnung. Das hat uns traurig gestimmt.

BF: Werden Sie die Zusammenarbeit mit dem LSV intensivieren?

Marco Hintze: Freie Bauern und LSV arbeiten z.B. in Schleswig-Holstein eng zusammen. Solche Kooperationen sind durchaus angezeigt. Gemeinsam gewinnt man einfach mehr politisches Gewicht. In Brandenburg wurden übrigens weder Freie Bauern noch LSV zu einem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten eingeladen. Lediglich der sehr SPD-treue DBV bekam eine Einladung.

BF: Würden Sie uns abschließend noch eine kurze Bewertung des neuen Vorschlags von Cem Özdemir abgeben, wonach in Deutschland eine Fleischsteuer eingeführt werden soll?

Marco Hintze: Diese Fleischsteuer oder Tierwohlcent, bringen den Landwirten garnichts. Im Gegenteil es führt wieder zu einer größeren Kluft zwischen dem Verbraucher und dem Produzenten.
Dort ist wieder deutlich das Wort „Steuer“ zu erkennen und nichts anderes ist es am Ende des Tages. An dieser Stelle hätte der Minister sinnvoller gehandelt, wenn er endlich die verpflichtende Herkunftskennzeichnung propagieren würde. Davon würden Verbraucher und Produzenten profitieren, denn nur dann kann der Kunde erkennen aus welchem Teil des Globus die Produkte kommen.

BF: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Jan Müggenburg für die Brandenburger Freiheit bereits am 07.02.24.