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Marwitz wehrt sich

In Marwitz (Landkreis Oberhavel) soll eine Unterkunft für 90 Flüchtlinge entstehen. Angesichts fehlender Infrastruktur in dem kleinen Ortsteil mit 2060 Einwohnern ist das nicht zu stemmen, findet Selina Hübner vom Bürgerbündnis Oberkrämer/Velten. Ihre Online-Petition [1] wurde per 23.03.2023 bereits von 1.258 Menschen unterstützt. Die BF sprach mit Selina Hübner über die Motive für Ihren Widerstand.

BF: Ihre Petition bemängelt fehlende Infrastruktur – Kita- und Schulplätze, öffentlichen Nahverkehr und mangelnde medizinische Versorgung. Sie sehen die kleine Gemeinde damit überfordert. Fehlt es Ihnen an Unterstützung vom Landkreis und von der Landesebene?

Selina Hübner: Ja, absolut! Auf der letzten Ortsbeiratssitzung wurde das noch einmal besonders deutlich. Aufgrund des gewachsenen Druckes wurde sie kurzerhand zum Bürgerinformationsabend umfunktioniert. Bau und Grundstück werden zwar vom Landkreis bzw. der kreiseigenen Oberhavel-Holding beigesteuert, doch die Begleitkosten für die Errichtung fehlender Infrastruktur bleiben bei den Marwitzern hängen. Es fehlt an Kita-Plätzen, an medizinischer Versorgung und auch an einer geeigneten Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Oberkrämers stellvertretender Bürgermeister Rücker behauptet zwar, dass es keine Folgekosten gäbe. Aber das sehen wir anders. Wir lassen uns in diesem Punkt auch juristisch beraten.

BF: Wie genau setzen Sie sich gegen diese Entwicklung zur Wehr?

Selina Hübner: Wir sorgen durch unsere Öffentlichkeitsarbeit vor allem für Aufklärung. Neben der Online-Petition haben wir einen Flyer erstellt, den wir im Ort verteilen. Darüber hinaus ziehen wir von Tür zu Tür und sprechen mit den Einwohnern, um ein Stimmungsbild zu erfassen. Gerade ältere Menschen sind weniger Internet-affin und über die sozialen Netzwerke kaum zu erreichen.
Ca. 95% der Befragten sind gegen die Flüchtlingsunterkunft in unserem Ortsteil. Etwa ein Drittel wusste noch nicht einmal davon oder glaubte, dass es sich bei dem neuen Objekt um eine Kombination von sozialem Wohnungsbau und Flüchtlingsheim handelt – so, wie es zunächst angekündigt war.

BF: Sie kritisieren also auch die Informationspolitik des Landkreises?

Selina Hübner: Richtig. Der Ortsbeirat wusste seit etwa einem Jahr davon, dass auf dem Grundstück Wohnungen errichtet werden sollen, bis zur Ortsbeiratssitzung am 05.10.22 war aber von einer Nutzung als Flüchtlingsunterkunft keine Rede. Die Ortsbeiratssitzung am 07.01.23 fiel dann überraschend aus. Am 26.01.23 erfuhren wir aus der Presse davon, dass die 30 Wohneinheiten ausschließlich für Flüchtlinge genutzt werden sollen.

BF: Fühlen Sie sich überrumpelt?

Selina Hübner: Ja, wir wurden als gewählte Ortsbeiratsmitglieder nicht informiert. Dafür war wirklich genügend Zeit.

BF: Gibt es weitere Gründe, die aus Ihrer Sicht gegen Flüchtlingsunterkünfte in Marwitz sprechen?

Selina Hübner: Ich rechne mit Integrationsproblemen aufgrund von sozialen und kulturellen Unterschieden. Die bisherigen Integrationskonzepte muss man als mangelhaft einstufen und ich kann nicht erkennen, dass die Verantwortlichen aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben.
Am wichtigsten ist mir aber tatsächlich der sich abzeichnende Mangel an Kita-Plätzen. Wenn in die 30 Wohnungen in Marwitz Familien mit je 1-2 Kindern einziehen, brauchen wir schon fast eine komplette neue Kita.
Ich habe selbst lange als Kita-Erzieherin in einer Einrichtung mit Flüchtlingskindern gearbeitet, die unsere Sprache nicht beherrschten. Die einzige Unterstützung, die wir hatten, war ein nicht funktionierendes Übersetzungsgerät. Die Kinder konnten damit auch nicht umgehen und wirkten auf mich verstört. Wir meinen, wir würden helfen, aber ich glaube vielmehr, dass die Kinder durch solche Dinge eher ein weiteres Mal traumatisiert werden.

BF: Aktuell kommen sehr viele Menschen nach Deutschland. Allein für den Landkreis Oberhavel werden für dieses Jahr 2400 Menschen erwartet. Teilen Sie die Auffassung, dass man Menschen in Not helfen muss?

Selina Hübner: Ja, wenn sie in Not sind. Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, muss man helfen. Sie verdienen unsere Unterstützung mit elementaren Dingen wie Sicherheit, Verpflegung, Kleidung und anderem.
Wir dürfen aber nicht übersehen, dass es auch ein beträchtliches Maß an illegaler Einwanderung gibt, die mit der geleisteten Hilfe in der jetzigen Form vom Landkreis gestützt wird. Für Afghanen und Syrer sehe ich aktuell keinen Anspruch auf Asyl mehr, weil die lange bestehenden Fluchtgründe aufgrund des Endes der Kämpfe aus meiner Sicht entfallen sind. Außerdem wurde die Drittstaatenregelung praktisch außer Kraft gesetzt.

BF: Unternehmen Bund und Land genug, um Fluchtursachen zu beseitigen?

Selina Hübner: Die Hauptverantwortung sehe ich hier beim Bund. Deutschland lässt praktisch jeden herein und schafft zu viele Anreize zu kommen. Das muss sich ändern.

BF: Stimmen Sie zu, dass der Krieg an den verschiedenen Schauplätzen der Welt immer wieder als Fluchtauslöser fungiert?

Selina Hübner: Ja, ohne Krieg keine Fluchtwellen.

BF: Die Kreisverwaltung wirkt in dieser Frage bisweilen wie der Erfüllungsgehilfe der Landesregierung, der entsprechende Vorgaben pflichtbewusst umsetzt. Mit dem Landrat und gewählten Dezernenten stehen aber politische Vertreter an ihrer Spitze. Würden Sie sich von ihnen eine klarere Positionierung in dieser Frage wünschen?

Selina Hübner: Ja. Vermutlich liegt ihre Zurückhaltung daran, dass sie Karrierenachteile befürchten.
Einerseits erwarte ich von gewählten Vertretern, dass sie die Interessenlage in der Bevölkerung herausfinden. Andererseits habe ich aber durchaus Verständnis für gewisse Handlungszwänge, die zweifellos bestehen, wenn Vorgaben „von oben“ exekutiert werden sollen. Letztlich führt diese Aufteilung aber dazu, dass sich am Ende niemand wirklich verantwortlich fühlt.

BF: Gibt es aus Ihrer Sicht geeignetere Standorte für solch eine Unterkunft?

Selina Hübner: Diese Frage würde sich nicht stellen, wenn man geltendes Recht umsetzen würde und Ausreisepflichtige konsequent abschieben würde.
Es gibt sicher bessere Standorte in Oberhavel. Ohne Bus und Bahn, ohne medizinische Versorgung und ohne kulturelle Einrichtungen ist Marwitz denkbar ungeeignet. Unsere Gemeinde wird auch überfordert, wenn ihr die gleichen Integrationsprobleme aufgebürdet werden, wie an anderen Standorten. Im Ortsteil Bärenklau wenige Kilometer von Marwitz entfernt, gibt es ebenfalls eine Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete. Sie sind überhaupt nicht integriert.
Früher engagierte ich mich in der Bürgerinitiative „Willkommen in Oberkrämer und Velten“ (WOV). Dort habe ich Kinder betreut. Meine Erfahrung war, dass die Eltern äußerst unkooperativ waren. Sie wollten unsere Sprache nicht lernen und trafen sich ausschließlich untereinander. Die Integration von Kindern hat Potenzial. Aber dafür muss man investieren. Insgesamt gibt es dafür zu wenige Angebote.

BF: Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer Petition Erfolg haben werden?

Selina Hübner: Den Bau werden wir wahrscheinlich nicht verhindern. Aber wir hoffen, dass wir durch unsere Initiative die notwendige Aufmerksamkeit erhalten, um die Öffentlichkeit und politisch Verantwortliche zu sensibilisieren.

BF: Fr. Hübner, vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Jan Müggenburg für die Brandenburger Freiheit.

[1] https://www.openpetition.de/petition/online/fluechtlingsheim-marwitz-stoppen#petition-main
[2] https://www.oberhavel.de/Politik-und-Verwaltung/Kreistag/Livestream/ , ab ca. 00:11:00

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