Tauziehen um die Gemeinschaftsunterkunft in Zehdenick: Flüchtlinge jetzt doch in Sporthalle

Kreistag Oberhavel lehnt Finanzierung einer Traglufthalle zur Unterbringung von Flüchtlingen in Zehdenick ab. Landkreis reagiert prompt: Flüchtlinge werden jetzt doch in die Sporthalle am Wesendorfer Weg in Zehdenick geschickt. Landrat Tönnies: „keine Idee, wo wir die Leute unterbringen sollen“.

Der Frust muss am Mittwoch in der Kreisverwaltung tief gesessen haben. Alles hätte so gut gepasst. Nach den Bürgerprotesten in Zehdenick zauberte die Kreisverwaltung urplötzlich ein Traglufthallen-Konzept aus dem Hut. Damit sollte für bis zu 144 Flüchtlinge eine Gemeinschaftsunterkunft geschaffen und der Bürgerzorn eingedämmt werden. Denn die Lösung gestattet die Weiternutzung der Sporthalle am Wesendorfer Weg für den Schul- und Vereinssport. Doch es kam anderes. Der Kreistag lehnte mit 21 Nein- und nur 19 Ja-Stimmen bei 3 Enthaltungen die Beschlussvorlage von Landrat Tönnies ab [1].

Die Abstimmung war notwendig geworden, denn mit einem Investitionsvolumen von 2,9 Mio. Euro benötigte der Landrat die Zustimmung des Kreistages für diese außerplanmäßige Ausgabe. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass der Landkreis in diesem Jahr bereits mit einem Defizit von 7,6 Mio Euro plant und die Ausgabe für die Traglufthalle im aktuellen Haushaltsplan noch nicht enthalten ist [3]. Im kommenden Jahr liegt der geplante Fehlbetrag sogar bei 10,6 Mio. Euro.

Doch die 2,9 Mio. Euro lösen die Unterbringungsprobleme des Landkreises noch nicht. Die Kapazität der Halle liegt bei 144 Menschen. Demgegenüber steht ein Aufnahme-Soll von 1844 für 2023, wobei noch mit 1.100 Flüchtlingen gerechnet werden muss. In seiner Beschlussvorlage gibt der Landkreis an, dass er noch über 30 freie Plätze verfügt. 174 freie Plätze sind für bestimmte Geschlechter und Nationalitäten reserviert [3]. Selbst die 440 Plätze, die von Ende 2023 bis Anfang 2025 fertiggestellt werden sollen, lösen das Problem nicht. Denn realitätsnah geht der Landkreis auch in den kommenden Jahren von einem hohen Zugangsgeschehen aus [3].

Deutlich war Landrat Tönnies der Frust anzumerken, als er die aktuellen Verhältnisse beklagte:

Wir nehmen als Kommune eine Aufgabe des Landes wahr, die das Land vom Bund wahrnimmt und wir sind am Ende der Kette.“ [1]

Tönnies kritisierte, dass vom Bund getroffene Regelungen, wie viele Menschen kommen, letztlich auf dem Rücken der Kommunen entschieden werden.

Aber die Appelle des Landrats halfen letztlich nicht. Vor allem mit den Stimmen der Linken, der Grünen und der AfD fiel seine Vorlage durch. Für Kathrin Willemsen von den Linken waren zu viele Fragen vor allem zur Finanzierung offen. Reiner Merker (Grüne) aus Zehdenick kritisierte den Umgang mit dem Runden Tisch, der wegen der Bürgerproteste eingerichtet wurde. Offenbar war die Traglufthalle nicht Gegenstand der dortigen Gespräche. Thomas Kay (parteilos) machte für die Zustimmung der AfD-Fraktion eine konsequente Abschiebung von Ausreisepflichtigen zur Bedingung.

Die Entscheidung des Kreistages setzte Tönnies unter Zugzwang. In einer der BF vorliegenden Pressemitteilung vom 16.09.23 gab der Landkreis dann bekannt, was viele befürchteten:

Leider rückt mit der Entscheidung des Kreistags nun die Unterbringung in Turnhallen wieder in den Fokus“ [4]

In einer Krisensitzung unter Beteiligung der Kreisverwaltung, der Oberhavel Holding (OHBV) und ihrer Tochtergesellschaft GfA wurden noch einmal alle Optionen geprüft:

Das Ergebnis ist: Uns bleibt aktuell leider keine andere Wahl, als vorübergehend die Sporthalle am Wesendorfer Weg in Zehdenick für die Unterbringung geflüchteter Menschen vorzubereiten.“ [4]

Sozialdezernentin Kerstin Niendorf wird in der Pressemitteilung wie folgt zitiert:

Ich weiß, dass das eine große Belastung für die Schülerinnen und Schüler der anliegenden Schulen, aber auch für die Eltern, die Lehrkräfte und die Vereine vor Ort bedeutet. Leider fehlen uns aktuell die Alternativen.“ [4]

Denn auch die alte Exin-Förderschule an der Marianne-Grunthal-Straße ist momentan für den Lankreis keine Option. Die SVV Zehdenick hatte bereits vor knapp einem Jahr durch eine so genannte Veränderungssperre für das Areal seinen Nutzungsbereich eingeschränkt.

So dürfte der Beschluss des Kreistages letztlich für viel Unzufriedenheit in Zehdenick sorgen. Lukas Lüdke (Die Linke) wies als Einziger in der sehr kontrovers und sehr politisch geführten Debatte darauf hin, dass man auch mal über die 2 Dutzend Kriege nachdenken sollte, die weltweit geführt werden und die Menschen immer wieder zur Flucht veranlassen.

[1] https://www.oberhavel.de/Politik-und-Verwaltung/Kreistag/Livestream/
[2] https://www.oberhavel.de/media/custom/2242_36925_1.PDF?1642679510
[3] Beschlussvorlage 1004/BV/2023, siehe https://www.oberhavel.de/buergerinfo/suchen02.asp
[4] Pressemitteilung des Landkreises Oberhavel vom 16.09.2023: „Unterbringung Geflüchteter: Kreistag lehnt Finanzierung einer Traglufthalle ab“