Das Ringen um eine Flüchtlingsunterkunft in Zehdenick erfährt mit der Kundgebung der Initiative „Zehdenick bleibt offen“ einen neuen Höhepunkt. Bei der Debatte um die Lösung des Problems fügen sich fast alle Vertreter von Parteien der Alternative „mehr Geld oder weniger Leistung“. Vertreter der Grünen ausgebuht. Sportlehrer fordert Ende der Zuschauerdemokratie.
Etwa 350 Menschen folgten dem Aufruf der Initiative „Zehdenick bleibt offen“ zu einer Kundgebung vor dem Rathaus der Stadt am Abend des 21.09.2023. Die Initiative war spontan Anfang Juli entstanden als der Landkreis für viele überraschend die örtliche Sporthalle am Wesendorfer Weg mit Flüchtlingen belegen wollte. Proteste der Initiative und der AfD erzielten ihre Wirkung. Der Landrat dachte um und brachte eine Traglufthalle als Unterkunft ins Spiel. Doch der Kreistag Oberhavel verweigerte in einer Abstimmung am 13.09.2023 die erforderlichen Mittel in Höhe von 2,9 Mio. Euro. Prompt sollten die Flüchtlinge wieder in die Sporthalle einziehen.
„Zehdenick bleibt offen“ wollte damit unmittelbar vor Beginn der Stadtverordnetenversammlung ein Zeichen setzen. Eine ausgewogene Rednerliste sollte für ein breites Meinungsspektrum während der Versammlung sorgen. Vor allem sollten die Zehdenicker Kreistagsabgeordneten Gelegenheit erhalten, ihr Abstimmungsverhalten während der Kreistagssitzung der Vorwoche zu erläutern.
Den Auftakt machte Daniela Lorenz, betroffene Mutter und Mitbegründerin der Bürgerinitiative „Zehdenick bleibt offen“. Lorenz stellte die Notwendigkeit der Unterbringung von Flüchtlingen nicht infrage. Nach ihrer Ansicht ist die Traglufthalle dafür durchaus geeignet. Die Sporthalle dürfe nicht zweckentfremdet werden, denn die Kinder hätten in der Corona-Zeit schon sehr viele Einschränkungen erleiden müssen. Daher appellierte sie an die Verantwortlichen, nach Alternativen zu suchen.


Lucas Halle, Bürgermeister von Zehdenick, stellte klar, dass Turnhallen nur für den Sport geeignet sind – „in Zehdenick, in Oranienburg, in Gransee und sonst wo im Land“. Halle spielte damit auf den möglichen Modellcharakter der Entscheidung der Kreisverwaltung an. Denn klar ist, dass der Landkreis für die in diesem Jahr noch aufzunehmenden Flüchtlinge nicht genügend Unterkünfte hat. Selbst die bis zum Frühjahr 2025 entstehenden Neubauten decken den Bedarf nicht – wohlgemerkt den Bedarf für dieses Jahr!
Halle versprach den Zehdenickern, alles zu tun, um die Nutzung der Turnhalle als Flüchtlingsunterkunft zu verhindern. Unzufrieden zeigte sich Halle mit dem Beschluss des Kreistages. Diese Entscheidung mache ihn auch eine Woche danach noch „extrem sauer“. Für Halle wurde die Stadt Zehdenick „in der letzten Woche auf eine ganz üble Art und Weise hintergangen.“, denn die Traglufthalle war für den Zehdenicker Bürgermeister ein Ergebnis monatelanger Verhandlungen.
Dennoch zeigte sich Halle gesprächsbereit und signalisierte, dass Zehdenick Flüchtlinge aufnehmen werde. Den Antrag der CDU-Kreistagsfraktion zum Verbot der Nutzung von Sporthallen als Flüchtlingsunterkunft begrüßte Halle ausdrücklich. Den Kreistag forderte er auf, den Fehler der Vorwoche zu korrigieren.
Hartmut Leib, SPD-Kreistagsabgeordneter aus Zehdenick, bedauerte ebenfalls die Ablehnung der Traglufthallen-Lösung durch Linke, Grüne und AfD. Er mahnte, dass durch die Zweckentfremdung der Halle Zehdenick als Schulstandort insgesamt gefährdet sein könnte.
Regelrecht aufgeheizt wirkte die Atmosphäre beim Auftritt von Reiner Merker (Grüne). Sein Redebeitrag wurde über weite Strecken hinweg von lauten „Buh“-Rufen und „Hau ab“-Rufen übertönt. Merker berief sich darauf, dass der Landrat in Gesprächen eine dritte Option zur Unterbringung von Flüchtlingen mit der Begründung ablehnte, dass ihm der Nutzungszeitraum von 1 ½ Jahren nicht genügen würde. Vor diesem Hintergrund fragte sich Merker, für wie lange der Landkreis nun wohl die Unterbringung in der Sporthalle plane.
Wenig Sympathie ließ Merker für den neuen Antrag der CDU-Kreistagsfraktion erkennen. Ihm zufolge handelt es sich dabei um eine Mogelpackung. Er plädiert dafür, dass eine Lösung in Zehdenick mit den Zehdenickern entwickelt wird.


Stellvertretend für die AfD-Fraktion erläuterte Elke Knorr die Ablehnung vom 13.09.2023 im Kreistag. Knorr zufolge erwartet der Landkreis in diesem Jahr noch mehr als 1300 Flüchtlinge. Bei einer Kapazität von 100-120 Flüchtlingen pro Halle würden noch weitere 10 Traglufthallen im Landkreis benötigt. Kostenpunkt 2,9 Mio. Euro pro Halle. Knorrs Angaben entsprachen nicht ganz den Mitteilungen des Landkreises, waren aber valide genug, um die Dimension des Problems zu verdeutlichen [1]. Harsch fiel daher auch ihre Einschätzung der Gesamtsituation aus. Die Halle behandelt nur ein Symptom des Problems. Die eigentliche Ursache sei eine fehlgeleiteten Flüchtlingspolitik.
Dennoch zeigte sich Knorr flexibel. Einer Beschlussvorlage, die dem Landkreis die Unterbringung von Flüchtlingen in Sport- und Bildungseinrichtungen untersagt, wolle ihre Fraktion im Kreistag zustimmen. Außerdem teilte sie mit, die Machbarkeit eines Bürgerbegehrens vergleichbar jenem in der Uckermark zu prüfen. Die BF berichtete dazu hier. Den lokalen Bürgerinitiativen bot sie dabei eine Zusammenarbeit an. Zum Abschluss fand Knorr ebenso mahnende wie versöhnliche Wort. Ihr
Appell: Schluss mit parteipolitischen Konzepten. Eine Chance zur Bewältigung der Situation gäbe es nur, wenn alle Kräfte gemeinsam handelten. Knorr erhielt für ihren Beitrag viel Applaus.
Stephan Grau, der populäre Sportlehrer an der Exin-Oberschule, bezeichnete die Debatte um die Sporthalle als „kläglich“. Ihm zufolge sind viele Fragen ungeklärt – Fragen, die dem Landkreis bereits seit dem 04. Mai diesen Jahres vorliegen. Als echten „Geistesblitz“ und „abartige Idee“ bezeichnete Grau den Vorschlag der Kreisverwaltung, der Schule 1000 Nordic-Walking-Stöcke zur Verfügung zu stellen. Er stellte dem gegenüber, was die Schule nach seiner Ansicht wirklich benötigt: Umkleiden, Waschräume, Bälle, Tore und Körbe, Boote mit Paddelsätzen und Mountainbikes in Klassenstärke. Grau forderte vom Landkreis die Umsetzung gesetzlicher Pflichten als Schulträger. Denn die Erfüllung von Lehrplänen im Fach Sport – sei Teil der gesetzlichen Schulpflicht.
Doch Grau blieb nicht bei den Details des Schulbetriebs. Er bemängelte eine immer größer werdende Distanz zwischen politischen Entscheidern und der Bevölkerung. Er forderte ein Ende der Zuschauerdemokratie: „Wir werden jetzt Akteure!“.
Unterdessen setzte die CDU, die am 21.09.23 gar nicht in Zehdenick vertreten war, eigene Akzente. Sie beantragte eine Sondersitzung des Kreistages und brachte einen neuen Antrag ein. Ihr Ziel:
„Der Kreistag Oberhavel beschließt die in Nutzung befindlichen Bildungseinrichtungen und Sporthallen, soweit sich diese in Trägerschaft des Landkreises befinden, von einer Nutzung als Notunterkunft bzw. für die Unterbringung von Geflüchteten und Asylbewerbern auszuschließen.
Jegliche entgegenstehenden vorbereitenden Maßnahmen zur Umnutzung von Bildungseinrichtungen und Sporthallen sind sofort zu stoppen. Der Landrat wird mit der
sofortigen Umsetzung beauftragt.“ [2]
Tatsächlich wird der Kreistag am 11.10.23 zu einer Sondersitzung einberufen. Los geht es um 16.00 Uhr mit einer Einwohnerfragestunde [3]. Neben dem Antrag der CDU-Fraktion steht außerdem eine Neuauflage des Antrages zur Finanzierung der Traglufthalle in Zehdenick auf der Tagesordnung.
[1] https://www.oberhavel.de/buergerinfo/getfile.asp?id=73556&type=do
[2] https://www.oberhavel.de/buergerinfo/getfile.asp?id=73665&type=do
[3] https://www.oberhavel.de/buergerinfo/getfile.asp?id=73870&type=do